Bedingungsloses Grundeinkommen : Gerecht, motivierend und billiger

Drei große Themen hat die Regierungskoalition, um sich nach den Missgeschicken der letzten Monate zu bewähren. Da ist zum einen Europa. Das Chaos und die Unfähigkeit der britischen Regierung sind offensichtlich - man kann nur hoffen, dass EU und Bundesregierung einen Weg aus der Malaise finden. Zum Zweiten geht es um die Digitalisierung unserer Gesellschaft. Der Digitalgipfel in Potsdam war ein wichtiger Meilenstein, nun hoffen wir auf eine zeitnahe und wirksame Umsetzung. Und schließlich geht es um soziale Gerechtigkeit. Hier scheint die Agenda unübersichtlich. Aber warum eigentlich? Das Thema bedingungsloses Grundeinkommen steht im Raum. Und keiner traut sich wirklich an dieses ganz große Thema heran. Auch nicht die SPD, zu deren ureigenen Anliegen es doch gehört, mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Die Sorgen um einen möglichen "Nanny-Staat" sind unbegründet.
Stattdessen werden Nebelkerzen gezündet, die die ursprüngliche Idee nur scheinbar nachbilden. Da wird eine Erhöhung des Mindesteinkommens vorgeschlagen. Da werden kosmetische Änderungen an Hartz IV oder am Bafög debattiert. Da wird kolportiert, Geld ohne Arbeit entspräche nicht den Bedürfnissen der Menschen. Da wird ein Abgleiten in einen „Nanny-Staat“ befürchtet. All das geht an der Kernidee des bedingungslosen Grundeinkommens vorbei - einer Idee, die anscheinend nur wenige wirklich verstanden haben. Was sind eigentlich die Kernmerkmale eines bedingungslosen Grundeinkommens? Das Grundeinkommen wäre billiger, als Transferleistungen wie Kindergeld und Hartz-IV heute sind.
Erstens bekäme jede volljährige Bundesbürgerin und jeder volljährige Bundesbürger monatlich denselben Betrag überwiesen. Für Bundesbürger unter 18 würde ein reduzierter Betrag fällig. Bei einem Satz von 600 Euro pro Erwachsenem und 200 Euro pro Minderjährigem beliefen sich die Gesamtkosten auf ca. 530 Milliarden Euro pro Jahr. Dies klingt hoch, muss aber in Bezug gesetzt werden zu resultierenden höheren Steuereinnahmen sowie wegfallenden Transferleistungen wie Kindergeld (ca. 40 Milliarden Euro pro Jahr), und Hartz IV (ebenfalls ca. 40 Milliarden Euro pro Jahr). Bei Besserverdienenden wird das Grundeinkommen "wegbesteuert" - also ist es bedarfsgerecht.
Zweitens wären die Zuwendungen steuerpflichtig - dies ist wichtig, sowohl hinsichtlich der Finanzierung als auch bei der Gerechtigkeitsfrage. Denn Besteuerung muss selbstverständlich dazu führen, dass das überwiesene Grundeinkommen durch erhöhte Einkommens- und Kapitalertragssteuern bei Besserverdienenden und auch bei Wohlhabenden ohne Verdienst umgehend wieder „wegbesteuert“ wird. So passt das Grundeinkommen auch zu den Forderungen u.a. der Grünen, wonach Bedürftigkeit Grundlage für eine solche Transferleistung ist. Bezieher können hinzuverdienen, Schwarzarbeit würde abnehmen.
Drittens erfolgte keine Konsumption. Geringverdienende müssen in der Lage sein, zusätzlich zum Grundeinkommen zu verdienen. Erst wenn die Einkommenssteuer greift, würde das zusätzliche Nettoeinkommen peu à peu wieder reduziert werden. Nur so entsteht der gewünschte Impuls für Geringverdienende, „offiziell“ hinzuzuverdienen und so in das System reintegriert zu werden. Dies beträfe nicht nur die klassischen Bereiche, in denen Schwarzarbeit gang und gäbe ist, wie Pflege, Kellnern und Bau. Auch bisher weithin übersehene Lücken wie die Dorfkneipe an der Ecke (lange schon liegt sie brach) oder die Haushaltshilfe bei kleinen Handwerksleistungen (Wer ersetzt endlich mal die Glühbirne, an die ich nicht rankomme?) würden von einem solchen System unmittelbar profitieren.Die soziale Stigmatisierung wird vermieden.
Viertens müssten existierende Transferleistungen wie Hartz IV, Kindergeld, Wohngeld oder auch Bafög komplett in das bedingungslose Grundeinkommen integriert werden. Gerade so wird soziale Stigmatisierung vermieden, weil alle Bürger gleich behandelt werden und sich um die Transferleistungen nicht mehr explizit - in einem teilweise entwürdigenden Prozess - bewerben und sich dafür wieder und wieder rechtfertigen müssen.Das bedingungsloses Grundeinkommen würde als Vertrauensvorschuss wahrgenommen - und das wäre motivierend.
Mit einem solchen Ansatz würde die Motivation, ins Erwerbsleben (wieder) einzusteigen, nicht etwa reduziert. Von „Nanny-Staat“ keine Spur, denn: Eine solche Motivation - das wissen wir aus der empirischen Ökonomie - existiert bei über 90 Prozent der Bevölkerung intrinsisch. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde als Vertrauensvorschuss wahrgenommen, der vielen Tausenden Bürgerinnen und Bürgern einen Neustart ermöglichen würde. Auch anerkannten Geflüchteten könnte über eine Erweiterung des vorgestellten Ansatzes ein Neustart in Würde ermöglicht werden. Warum traut sich keiner ran? Ein entsprechender Impuls könnte in den nächsten Jahren wahlentscheidend sein.