Nach dem Fahrverbots-Urteil : Städte ohne Autos!

Verkehrswende kommt per Gericht.
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu den Fahrverboten in deutschen Innenstädten leitet die Verkehrswende ein. Die Städte dürfen aus Gründen des Gesundheitsschutzes Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge verhängen. Nach Berechnungen des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz sterben in Deutschland jährlich 7.000 Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung durch den Straßenverkehr – doppelt so viele wie bei Verkehrsunfällen. 30 deutsche Städte können nach dem Urteil Fahrverbote erlassen. Roboter-Autos und autonome Fahrsysteme sind sicherer als der Mensch.
Werden wir in Zukunft noch Auto fahren? Die Frage ist falsch gestellt. Richtig müsste sie lauten: „Dürfen wir in Zukunft noch fahren?“ Roboter-Autos und autonome Fahrsysteme sind sicherer als der Mensch. Ihr Versprechen ist eine Reduzierung der Verkehrstoten und Unfälle auf nahezu Null. Neben „zero accidents“ lautet das zweite große Versprechen der neuen Mobilität „zero emissions“. Der Verkehr der Zukunft stößt keine umweltschädlichen Emissionen mehr aus.
Treiber der neuen Mobilität sind die Städte. Weltweit leben bald 80 Prozent der Bevölkerung in Städten. Auch in Deutschland zieht es immer mehr Menschen in die Städte. Hier passieren die meisten Unfälle und werden die meisten schädlichen Emissionen ausgestoßen. Verursacher sind vor allem Diesel-Fahrzeuge. Statt auf mehr Regulierung sollte die Städte auf ihre Bürger setzen. Eine Mehrheit der Bevölkerung begrüßt Fahrverbote für schmutzige Diesel-Fahrzeuge. Das Umweltbewusstsein steigt, die Bürger wollen mitentscheiden.
Das Umweltbewusstsein der Bürger ist seit der Debatte über Fahrverbote erheblich gestiegen. Drei Viertel der Bürger fühlen sich durch Autoabgase belästigt oder gestört. Eine Mehrheit fordert ein Fahrverbot für ältere Diesel-Fahrzeuge in den Innenstädten. Die Städter wollen die neue Mobilität. Mehr als 90 Prozent fordern eine gezielte Umgestaltung von Städten und Gemeinden. Allerdings gilt auch hier das NIMBY-Prinzip (Not in my backyard). Wenn eigene Gewohnheiten und Interessen betroffen sind, schlägt die theoretische Zustimmung schnell in praktische Verweigerung um. Zwar erfüllt das Auto seine eigentliche Funktion angesichts überfüllter Straßen voller Staus und knapper Parkmöglichkeiten immer weniger. Ohne ein tragfähiges Konzept und ohne attraktive Alternativen sind Gewerbetreibende oder Berufspendler jedoch kaum zum Einstieg in den Umstieg zu überzeugen. Beispiele aus anderen Ländern zeigen, dass sich mutige Verkehrsprojekte umsetzen lassen, wenn man die Bevölkerung mitentscheiden lässt und frühzeitig am Prozess beteiligt.
Städte wie Kopenhagen und London und Länder wie Norwegen machen vor, wie neue Mobilität in den Städten gelingen kann. Kopenhagen und Amsterdam haben den Autoverkehr in den letzten Jahren weitgehend reduziert und zwar im Einvernehmen mit der Bevölkerung. Kopenhagen ist heute die „umweltfreundlichste Stadt Europas“. Norwegen stellt in Zukunft komplett auf Elektro-Mobilität um. Frankreich und England wollen ab 2040 Diesel und Benziner verbieten, um die hohen Schadstoffwerte zu senken. Mit drastischen Worten beschreibt der Bürgermeister der englischen Hauptstadt die Lage „Die Luft in London ist ein Killer“. Die schlechte Luftqualität sei das größte Umwelt- und Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung. Österreich hat eine Initiative „Zero Emission Cities“ gestartet.Die Zukunft sind autofreie Innenstädte.
Die Bürger wollen autofreie Innenstädte. Das Auto, lange Zeit ein Symbol für Freiheit und Unabhängigkeit und des sozialen Status, hat seine Vormachtstellung in den Städten verloren, weil es seine eigentliche Funktion immer weniger erfüllt: Angenehm und schnell von A nach B zu kommen gelingt mit ihm angesichts überfüllter Straßen voller Staus und knapper Parkmöglichkeiten immer weniger. Die Bürger wollen die Verkehrswende nicht aus ideologischen Gründen, sondern wegen der Lebensqualität. Und die Generation 4.0 wird in Zukunft individuell nur noch, wenn sie dazu gezwungen ist. Weniger Autos in den Innenstädten bedeuten schließlich auch mehr bezahlbaren Wohnraum. 90 Prozent des verfügbaren öffentlichen Raums machen Parkplätze für Autos aus. Jeder Parkplatz verbraucht 12 Quadratmeter. So viel wie ein Kinderzimmer.Konzepte, Kreativität, Konfliktlösung und Kompetenz für neue Mobilität sind gefragt.
Gefragt sind neue Konzepte, viel Kreativität, offene Konfliktlösung und ein übergreifendes Kompetenzzentrum für neue Mobilität. Häufig sind es die Bürgermeister und lokalen Entscheidungsträger wie der neue Präsident des Städtetags und Oberbürgermeister von Münster Markus Lewe, die hier mutig in die Zukunft gehen.
Entscheidend wird sein, die urbane Verkehrswende nicht gegen Bevölkerung und Wirtschaft umzusetzen, sondern mit ihnen. Eine Verkehrswende, die das Ende des Individualverkehrs mit Verboten erreichen will, wird am Widerstand der Bürger scheitern. Konflikte können nur durch klare Ziele und eine Stadtentwicklung unter Beteiligung der Bürger gelöst werden. Kreative Instrumente der Konfliktlösung und Bürgerbeteiligung sind wichtige Voraussetzungen, um den Mindset für neue Mobilität zu befördern. Nichtparken beginnt im Kopf. Urbane Mobilität wird zum Wachstumsmarkt.
Urbane Mobilität wird weltweit zum Wachstumsmarkt. Von intelligenten Mobilitätslösungen profitieren die Städte in Deutschland auch wirtschaftlich. Allein 40 Milliarden Euro jährlich kostet die Städte die Suche der Autofahrer nach Parkplätzen. Die meisten Arbeitsplätze werden in jenen Unternehmen entstehen, die auf sich verändernde Nutzerbedürfnisse reagieren. Die deutsche Post versteht sich längst nicht nur als Logistik, sondern als Mobilitätsunternehmen und verkauft heute mehr E-Autos als alle deutschen Autohersteller zusammen. Die aktuell 50.000 Post-Autos sollen durch E-Autos ersetzt werden. Der „Street-Scooter“ der Post ist auch für andere Unternehmen erwerbbar. Nicht auf Politik von oben warten: Auf die Städte kommt es an.
Während sich viele Städte und Länder bereits aufmachen in die Welt der urbanen Mobilität 4.0, fehlen in Deutschland vor allem klare Ziele und kreative Konzepte. Die Städte sollten nicht auf die Politik von oben, den Bund und die Große Koalition, warten. Auf sie selbst, ihre Bürgermeister und Bürger kommt es an! Die Mobilität von morgen entscheidet sich in den Städten.
Dr. Daniel Dettling leitet das Berliner Büro des Zukunftsinstituts (www.zukunftsinstitut.de). Soeben erschienen ist die Studie „Futopolis: Stadt,Land,Zukunft.“
Johannes Näumann ist Berater für strategische Kommunikation in Transformationsprozessen (www.naeumann-sk.de).