METROPOLEN VERÄNDERN SICH : Nachhaltige Mobilität für alle

Was macht eine Stadt liebenswert? Ihre Menschen. Zum Beispiel der herbe Charme der „Berliner Schnauze“. Was macht eine Stadt lebenswert? Zum Beispiel ihre Grünanlagen und wie sie ihren Verkehr organisiert. In lebenswerten Städten gibt es keine gesundheitsgefährdende Luftverschmutzung und nur geringe Emissionen der klimagefährlichen Treibhausgase. Es gibt grüne Oasen zum Erholen und zur Verbesserung des Stadtklimas. In lebenswerten Städten ist die Infrastruktur für die unterschiedlichen Verkehrsträger so ausgebaut, dass alle Menschen, unabhängig von ihrer individuellen ökonomischen Grundlage schnell, sicher und komfortabel von A nach B kommen. Städte mit solchen Charakteristika sind attraktiv und haben einen Standortvorteil, denn sie liegen im internationalen Wettbewerb um die begehrten Fach- und Führungskräfte weit vorn.
Der augenblickliche Zustand vieler Metropolen und auch von Berlin sieht jedoch ganz anders aus und die Ursache ist schnell identifiziert: Der in den vergangenen Jahrzehnten enorm angestiegene Autoverkehr. Die Luftverschmutzung hat auf dramatische Weise zugenommen. Stickoxyde belasten die Gesundheit zehntausender Menschen, allein in der EU versterben knapp 30.000 Bürger vorzeitig an dieser Belastung. Ganze Wochen ihrer Lebens- und Arbeitszeit stehen Menschen im Stau – in Berlin im Durchschnitt jede und jeder knapp drei Arbeitswochen pro Jahr.
Insofern verwundert es nicht, dass Städte in Deutschland, in Europa und auch weltweit in den vergangenen Jahren begonnen haben, gegen diese Entwicklungen anzusteuern. In Paris wurden 2016 3,3 Kilometer Schnellstraße entlang der Seine zu einer autofreien Promenade, die Stadt hat herausragende Plätze identifiziert, um sie menschenfreundlicher und autofreier zu gestalten. In Thessaloniki wurde 2013 eine 3,5 Kilometer lange Hafenpromenade fertiggestellt, für Spaziergänge, Fahrradfahren oder Inlineskaten. Moskau hat viele Straßen zu Fußgängerzonen mit Läden und Cafés umgestaltet. Der Times-Square in New York ist mittlerweile eine Fußgängerzone. Paris hat sich vorgenommen, die Welthauptstadt des Fahrrads zu werden und investiert ebenso wie Moskau und London zweistellige Milliardenbeträge in den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Die Menschen in der Stadt sind zufriedener, wenn in Rad-, Fuß- und öffentlichen Nahverkehr investiert wird.
In Deutschland hat der ADAC vor kurzem seinen „Mobil in der Stadt“-Monitor veröffentlicht. Er zeigt, wie zufrieden Einwohner, Pendler und Besucher der 15 größten deutschen Städte mit ihrer persönlichen Mobilität sind. Die beiden Gewinner des Rankings, Leipzig und Dresden, zeichnen sich dadurch aus, dass sie in den vergangenen Jahren den Umweltverbund, also Rad-, Fuß- und öffentlicher Nahverkehr, ins Zentrum ihrer Investitionsstrategien stellten. Der Vize-Präsident des ADAC forderte angesichts dieser Ergebnisse, dass die Großstädte primär die öffentlichen Personennahverkehre fördern sollten, auch mit Maßnahmen, die gegebenenfalls zu Lasten des Individualverkehrs ausfielen. Eine autogerechte Stadt gäbe es nicht mehr und sie käme auch nicht wieder. Auch in Berlin wird auf diese Herausforderung endlich konsequent reagiert. Es geht jetzt darum, die Weichen für die kommenden Jahre richtig zu stellen. Einerseits um die aktuellen Probleme schnell zu lösen und andererseits, um die Zukunft nachhaltig zu gestalten. Es geht um Mobilität. Es geht um nichts weniger als die Funktionsfähigkeit der Stadt. Wer auf das Auto angewiesen ist, profitiert umso mehr von weniger Autoverkehr.
Mit dem ersten Mobilitätsgesetz und dem darin integrierten Radgesetz soll die gesetzliche Grundlage zur Stärkung des Umweltverbundes geschaffen werden. Je mehr Menschen auf Bus, Bahn oder Rad umsteigen können und wollen, desto mehr Platz bleibt für andere Nutzungen des öffentlichen Raumes. Und wer aus beruflichen oder privaten Gründen auf das Auto angewiesen ist, profitiert umso mehr von weniger Autoverkehr. Denn es geht nicht um einen Kulturkampf gegen das Auto, sondern um eine intelligente, zukunftsfähige Form von nachhaltiger Mobilität für alle. Nur mit einem ganzheitlichen Ansatz wird man die Herausforderungen der wachsenden Stadt meistern und die Stadt der Zukunft gestalten können.
Dieser ganzheitliche Ansatz hat viele Dimensionen und begründet sich nicht nur verkehrspolitisch: Eine moderne Metropole, allemal die mit einer alternden Gesellschaft, muss sich am Anspruch messen lassen, barrierefrei zu sein. Menschen mit Mobilitätseinschränkung ist die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben aufgrund fehlender Barrierefreiheit nicht immer oder gar nicht möglich. Es gilt, für barrierefreie öffentliche Verkehrsmittel und barrierefreie Gestaltung von Straßen und Plätzen zu sorgen.Es muss auch kurzfristig gehandelt werden, z.B. durch angepasste Ampelschaltungen und Geschwindigkeitsreduzierung.
Eine moderne Metropole muss eine gesunde Stadt sein. Diesel-PKW stoßen sehr viel mehr Stickoxide aus, als von der Automobilindustrie vorgetäuscht. Solange die Hersteller die Fahrzeuge nicht schnell, unbürokratisch und kostenfrei nachrüsten, um die gesetzlichen Grenzwerte einzuhalten, drohen gerichtlich angeordnete Fahrverbote. Die Förderung des Umweltverbundes wird langfristig auch zur Verbesserung der Luftqualität beitragen. Es muss aber auch kurzfristig gehandelt werden. In Berlin werden die BVG-Busse mit besseren Filtern ausgerüstet und der Verkehr soll durch angepasste Ampelschaltungen und Geschwindigkeitsreduzierung verstetigt werden. Denn wenn der Verkehr fließt, werden weniger Stickoxide ausgestoßen.Der CO2-Ausstoß im Verkehr ist gestiegen, ein Schwerpunkt muss auf E-Mobilität liegen .
Eine weitere Dimension des ganzheitlichen Ansatzes ist der Schutz des Klimas und die Anpassung unserer Stadt an die Klimaveränderungen. Während in Berlin der CO2-Ausstoß insgesamt im Vergleich zu 1990 um fast 32 Prozent gesunken ist, ist er im Verkehrsbereich im gleichen Zeitraum um beinahe 10 Prozent gestiegen. Noch ein Grund, warum gerade in den Städten der Schwerpunkt auf dem Umweltverbund und der Förderung der Elektromobilität liegen muss. Auch hier ist der Anfang bei der Busflotte gemacht: In 2018 sollen auf Initiative der Senatsverwaltung 30 elektrisch betriebene BVG-Busse Menschen leise und Co2 frei an ihr Ziel bringen. Andere Städte sind da schon weiter und zeigen, dass die E-Mobilität alles andere als Zukunftsmusik ist. In London ist die größte elektrische Busflotte Europas unterwegs. Über 2.500 Hybridbusse fahren durch die britische Hauptstadt sowie 170 rein elektrisch angetriebene Busse.
Die Organisation dieser nachhaltigen und integrierten Mobilität erfordert enorme Investitionen in die Infrastruktur, und zwar nicht nur in den öffentlichen Nahverkehr oder in die Radinfrastruktur. Wir müssen auch Berlins Brücken und Straßen erhalten und erneuern. Der benötigte Individualverkehr braucht eine intakte Infrastruktur und muss mit einem vernünftigen Maß in ein umfassendes Mobilitätskonzept eingebettet werden. Dies wird nicht über Nacht gelingen, aber der Anfang ist gemacht und er findet in dem neuen Doppelhaushalt der Koalition einen signifikanten Ausdruck. Jahrelang sind notwendige Investitionen unterblieben. Der neue Senat hat die Weichen für die notwendige Investitionsoffensive gestellt.Partizipation ist eine wichtige Voraussetzung für eine nachhaltige Mobilität.
Und diese Investitionen machen nicht Halt an den Grenzen Berlins. Ein zentraler Pfeiler der kommenden Jahre wird die verkehrliche Entwicklung und Integration der Metropolregion Berlin-Brandenburg sein. Mehr als 200.000 Pendler von Brandenburg nach Berlin und etwa 85.000 von Berlin nach Brandenburg – Tendenz steigend - zeigen, wie schnell die Stadt mit dem Umland zusammenwächst. Der Senat hat deshalb mit dem Land Brandenburg und der Deutschen Bahn die Initiative i2030 auf den Weg gebracht, die auf den forcierten gemeinsamen Infrastrukturaufbau abzielt.
Diese gewaltige infrastrukturelle Herausforderung kann nur mit der Stadtgesellschaft gelingen, nicht gegen sie. Partizipation ist daher eine wichtige Voraussetzung für eine nachhaltige Mobilität. Planung und Gestaltung des Verkehrs in unserer Stadt sollen mit den Berlinerinnen und Berlinern erfolgen und nicht an ihnen vorbei. Nur im Dialog mit der Stadtgesellschaft wird es gelingen, Berlin sicherer, mobiler, gesünder und klimafreundlicher zu machen. Kurz: Nicht nur liebenswert, sondern auch lebenswerter.