Ein Blick aus bezirklicher Sicht : Mobilitätswende in Berlin: Global denken, lokal handeln

Auf dem Pariser Weltklimagipfel der Vereinten Nationen haben die Staaten beschlossen, den Anstieg der Emissionen klimaschädlicher Gase bis 2050 so runterzufahren, dass die Erderwärmung möglichst nicht mehr als 1,5 Grad erreicht. Die Bundesregierung hatte sich zuvor verpflichtet, den CO2-Ausstieg bis 2020 um 40 % zu senken. Dieses Ziel wird sie aller Voraussicht nach verfehlen. Wenn wir den emmissionslosen/-armen Verkehr nicht auf die Agenda setzen, werden wir auch die Ziele des Pariser Weltklimagipfels verfehlen. In den Städten stößt der Verkehr bis zu 40 % CO2 aus. Zudem ist insbesondere der motorisierte Individualverkehr in Ballungsräumen für einen Großteil der gesundheitsschädlichen Stickoxidemissionen und den damit verbundenen Folgekosten verantwortlich. Seit sieben Jahren gelten die aktuellen und überschrittenen Stickoxid-Grenzwerte in Deutschland. Wenn das Bundesverfassungsgericht im Februar über mögliche Fahrverbote entscheiden wird, fällt das nicht plötzlich vom Himmel. Lärm ist ein weiteres Problem, für das in der Stadt hauptsächlich der Verkehr verantwortlich ist. Wer weniger Abgase und Lärm haben will, muss beim Verkehr ansetzen und Alternativen anbieten, die mit weniger Fahrzeugen die gleiche Mobilität anbieten. Jüngeren ist das eigene Auto nicht mehr so bedeutsam wie es früher war.
Berlin bietet gute Voraussetzungen, Mobilität neu/weiter zu denken als allein individuell: In der Stadt kommen auf 1.000 Einwohner weniger als 400 Autos. Jüngeren ist das eigene Auto nicht mehr so bedeutsam wie es früher war. Das eigene Smartphone ist ihnen wichtiger und Mobilität immer öfter darüber organisiert als mit einem eigenen Pkw. Immer mehr Apps bieten Mobilitätsangebote an – sei es bike oder car sharing, Bus- und Bahn-Informationen wie Ticketkauf. Was bisher fehlt, ist die eine App für alle. Wie kann Fahrrad, Bahn, Bus und (cargo) bike und car sharing am besten kombiniert werden? Dass große Unternehmen wie Google und Apple in diesem Bereich aktiv sind und am selbstfahrenden Auto arbeiten, zeigt, welche Potenziale dieser Markt hat. Wenn ich diese Trends weiterdenke, sehe ich in Zukunft mehr car sharing Fahrzeuge, die öfter fahren als dass sie stehen. Damit sinkt der Bedarf an Parkplätzen und gibt diesen Raum frei für die Menschen in der Stadt. Die entscheidenden Fragen sind, wer wird diese Fahrzeuge betreiben, wer verschläft hier möglicher Weise eine Entwicklung und mit welchem Antrieb werden die Autos fahren? Zum einen kann nur der abgasfreie Antrieb die Stadtluft entlasten, zum anderen kann der Verkehr der wachsenden Stadt nicht allein mit individueller motorisierter Mobilität gelöst werden. Das Ziel ist, Bahn, Bus, (Lasten-)Fahrrad und car sharing attraktiver zu gestalten, aber auch Orte des Wohnens mit denen des Arbeitens und der Versorgung zusammen zu denken: die Stadt der kurzen Wege. "Volkentscheid Fahrrad" hat den Druck auf Landesebene noch einmal erhöht.
Es ist daher folgerichtig, dass sich die rot-rot-grüne Koalition darauf geeinigt hat, das Thema der Mobilität in Berlin anzupacken. Die Senatsverwaltung für Umwelt, Klimaschutz und Verkehr unter der von den Grünen nominierten Senatorin Regine Günther hat ein Mobilitätsgesetz auf den Weg gebracht, dass bundesweit das erste seiner Art ist. Der erste Teil des Mobilitätsgesetzes wird neben der Regelung für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) ein Radgesetz enthalten. Dieses geht zurück auf die Initiative „Volksentscheid Fahrrad“, die bereits in der ersten Phase des Berliner Volksentscheids mit mehr als 80.000 Unterschriften äußerst erfolgreich war. Damit wurde der Druck auf die Landesebene nochmal erhöht, die Fakten ernst zu nehmen und eine ausreichende Fahrradinfrastruktur bereit zu stellen. Das Fahrrad ist in den Städten das ideale Verkehrsmittel.
Denn im letzten Jahrzehnt hat sich der Radverkehr verdoppelt, ohne dass die Infrastruktur mit gewachsen ist. Betrachtet nach den Verkehrsträgern (modal split) sind in Berlin 13 % der Verkehrsteilnehmenden (Stand 2013) mit dem Fahrrad unterwegs; doch auf der Straße haben sie nur etwa drei Prozent der Fläche. Das Fahrrad ist in den Städten das ideale Verkehrsmittel, denn in der Regel sind Autofahrten in der Stadt nicht länger als sechs Kilometer. Das sind Distanzen, die bequem mit dem Fahrrad zurückgelegt werden können. London hat darauf mit Radschnellwegen reagiert, die ein attraktiveres Angebot schaffen. In Kopenhagen ist der Radverkehr mit einem Anteil von etwa 50% deutlich führend. Berlin kann hiervon lernen. Mit dem Mobilitäts- und Radgesetz wird das in Gesetzesform gegossen. Aber ein Gesetz allein genügt nicht. Es müssen auch Personal und Gelder bereitgestellt werden. Mit dem neuen Haushalt hat das Abgeordnetenhaus von Berlin Mittel bereitgestellt, mit dem sich der Ausbau der Fahrradinfrastruktur auf höherem Niveau fortführen lässt. Mit der Infravelo wird der Senat eine Gesellschaft gründen, die das bewerkstelligen und die Bezirke unterstützen kann. Das Fahrradroutennetz ist noch nicht da, wo es laut Verkehrskonzept sein sollte.
Daher nun ein Blick auf den Bezirk. In Charlottenburg-Wilmersdorf hat das Bezirksamt ein Verkehrskonzept aufgelegt, dass als Ziele die Mobilität für alle mit den Schwerpunkt der Förderung des umweltfreundlichen Verkehrs zu Fuß, Fahrrad, Bus und Bahn hat sowie die Sicherheit im Verkehr zu erhöhen, den Schadstoffausstoß und den Lärm zu senken. Handeln kann der Bezirk u.a. bei der Infrastruktur für das Fahrrad und die Fußgänger sowie für den Lieferverkehr. Auch hier gibt es einiges aufzuholen. Das Fahrradroutennetz ist noch nicht da, wo es laut Verkehrskonzept sein sollte. Grünes Ziel ist es, die Lücken zu schließen und die bestehende Infrastruktur den aktuellen Standards anzupassen. Dafür braucht es Planungskapazitäten. Das hat die rot-rot-grüne Koalition in Berlin erkannt und den Bezirken je zwei Fahrradplanerstellen bewilligt. Die Ausschreibungen liefen/laufen, doch es zeigt sich, dass es nicht einfach ist, die Stellen zu besetzen. Bisher konnte in Charlottenburg-Wilmersdorf erst eine Stelle besetzt werden, die andere muss nochmal ausgeschrieben werden. Nicht nur hier kämpfen die Bezirke schon lange für eine bessere Bezahlung, um konkurrenzfähig am Markt zu sein. Denn das Geld kann nur investiert werden, wenn es ordentlich verplant wird. Die Verwaltung ausreichend auszustatten und für die Mobilitätswende zu motivieren, ist die Herausforderung.(Elektrische) Lastenräder oder E-Scooter für die letzten Kilometer zum Kunden.
Im Transport denkt der Bezirk weiter: Für die Lieferung von Waren mit dem (E-)Lastenrad auf dem letzten Kilometer zum Kunden agiert der Bezirk mit der Technischen Universität und vielen anderen Partnern im Projekt „Distribut E“ zusammen. Dieses informiert um den Klausenerplatz und auf der Mierendorff-Insel, wie dort Anwohnende und Geschäftstreibende den Service nutzen können und greift Verbesserungsvorschläge auf. „Distribut E“ wird 2018 starten. Dann können Waren durch den Kiez ohne Lärm und Abgase transportiert und Lkw ersetzt werden. Das entlastet den Verkehr insgesamt.
Eine andere Möglichkeit für den Transport zum Kunden kann der E-Scooter sein, den Professor Günter Schuh von der RWTH Aachen für die Post baute, nachdem sie auf dem Markt keinen Anbieter fand. Heute ist der E-Scooter der Renner und eine zweite Fabrik wird geplant. Hier droht Deutschland insgesamt einen Trend zu verschlafen, wie bei den E-Bussen, wo China bereits Großaufträge zur Umstellung seiner Busflotte auf Elektroantrieb vergibt.Für Fußgänger gibt es noch zu viele Barrieren.
Die Fußgänger sind in Berlin die größte Gruppe im modal split (31% Stand 2013). Auch für sie braucht es in der wachsenden und älter werdenden Stadt ausreichend Platz, damit z.B. Kinderwagen, Rollatoren oder Rollstühle auf dem Gehweg bequem aneinander vorbekommen und es keine Stolperfallen gibt.
Beim Queren der Straßen finden sich oft die größten Barrieren. Viele Straßen in Berlin sind in Zeiten gestaltet worden, als die autogerechte, nicht die menschengerechte, Stadt als die Maxime galt. Mal schnell in den Laden gegenüber zu gehen ist oft nicht möglich. Mein persönliches Beispiel ist die Bundesallee. Die Ampelschaltungen sind auf das Auto eingestellt; zuständig ist die Verkehrslenkung Berlin (VLB). Selbst ich schaffe es hier kaum, die Straße in einem Zug zu queren – Kinder noch weniger. Für viele ist das aber der Schulweg. Wenn wir wollen, dass Kinder selbstständig zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Schule kommen, müssen wir die Stadt aus Kinderaugen sehen. Nur so wird es uns gelingen, den Stau vor den Schulen jeden Morgen zu verringern. Bisher bringen Eltern ihre Kinder lieber mit dem Auto zur Schule als sie allein auf den Weg zu schicken, wie ich das damals in Wilmersdorf getan habe. Ich hoffe hier auf den frischen Wind in der VLB und weiß aus der Bezirksverordnetenversammlung, wie es ist, für ein Ziel einen langen Atem haben zu müssen.
Am Volkspark Wilmersdorf kann die Bundesallee nur über die dortige Brücke überquert werden. Barrierefrei ist sie nicht wirklich. Eine ebenerdige Querung könnte dies beheben. Letztlich sollen am Bundesplatz nach jahrelangem Einsatz der dortigen Initiative Querungen von der Mainzer und Tübinger Straße zum Platz führen. Ähnliche Bedingungen gibt es im Bezirk einige, wie z. B. an der Lewishamstraße auf Höhe der Sybel- und Waitzstraße. Diese stehen symptomatisch dafür, dass der Umbau zur fußgängerfreundlichen Stadt noch am Anfang steht. Aber es lohnt, den Weg zu gehen, um Berlin ein Stück lebenswerter und nachhaltiger für alle zu gestalten.