AfD in der öffentlichen Meinung : Das Problem AfD wird vom linksliberalen Bürgertum nicht ernst genommen
Die AfD erhält Stimmen von Leuten, die früher andere Parteien wählten. Die Strahlkraft dieser Parteien nach rechtsaußen ist, mit Ausnahme der CSU, erloschen. Die AfD agiert mit einer Doppelstrategie. Leute wie Björn Höcke sind rechtsextrem. Andere sind gemäßigter. Die Partei bewegt sich zwischen Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus. Das scheint mir der Stand der Debatte hier zu sein.
Im Grundsatzprogramm der AfD wird behauptet, "importierte kulturelle Strömungen" seien eine "ernste Bedrohung für den sozialen Frieden und für den Fortbestand der Nation". In den langen Abschnitten zur Begrenzung von Einwanderung und Asyl gibt es ein paar Sätze über Integration, ausschließlich mit Forderungen an Zugezogene. Integrationsangebote werden nicht erwähnt. Energiepolitik? Kernkraftwerke wieder ans Netz, erneuerbare Energien nicht mehr fördern, Ausgaben für Klimaschutz streichen, Ausbau der Windenergie stoppen. Autoverkehr? Dürfe nicht mehr behindert werden. Wörtlich steht da der alte Hut drin: "Freie Fahrt für freie Bürger". Soweit die AfD. In dieser Debatte hat Oskar Niedermayer die Position der Partei im politischen Spektrum umfassend analysiert. Wolfgang Benz hat die Nazi-Nähe der Partei konstatiert. Das Problem AfD wird vom linksliberalen Bürgertum nicht ernst genommen.
Ich finde, es reicht nicht aus, allein auf die AfD zu zeigen. Das rechtsradikale, nationalistische Problem wird in großen Teilen des vorgeblich aufgeklärten, gern global denkenden und regional speisenden linksliberalen Bürgertums nicht ernst genommen. Oft entdeckt man Dummheit ja dort, wo die Dummheit anderer artikuliert wird. Sich über die AfD und ihre Wähler selbstgefällig zu erheben, ist unpolitisch. Es genügt nicht, pausenlos Bestätigungen dafür zu suchen, dass man zu den Guten zählt. Es genügt nicht nur nicht: Es ist eine Form von Meinungsdekadenz, die bekämpft gehört, egal, bei wem sie sich äußert. Leider sind viele selbstgefühlt Fortschrittliche müde. Und leider sind die Nationalisten hellwach. Sich über die AfD und ihre Wähler selbstgefällig zu erheben, ist unpolitisch.
Meine Botschaft ist kurz. Sie lautet: Bitte mehr Selbstkritik! Wenn aufgeklärte Menschen sich nicht die Arbeit machen wollen, den blinden Fleck aufgeklärter Menschen auszuleuchten, dann kultivieren sie Überheblichkeit und Ignoranz und werden dafür bestraft.
Die aufgeklärten Bürger an der Ost- und Westküste der USA haben nicht verhindern können, dass die abfällig "fly-overs" genannten Bewohner des Landesinneren Donald Trump zum Präsidenten der USA gewählt haben. Ja, die "fly-overs" haben die Luftschiffe, in denen vorgeblich aufgeklärte Küstenbewohner dahinschwebten, einfach abgeschossen.
Wenn in Deutschland Ähnliches nicht passieren soll, dann sollten selbstgefühlt aufgeklärte Menschen, die sich in Foren wie diesem (neben ihren politischen Gegnern) herumtreiben, die rechtsradikale, völkische, nationalistische und fremdenfeindliche AfD ernstnehmen. Sie sollten versuchen zu verstehen, warum ein nennenswerter Teil der politischen Mitte rechtsradikal, nationalistisch und fremdenfeindlich denkt und wie nie zuvor gewillt ist, das mit Stimmkreuzen zu verewigen. Wie man das macht? Indem man versucht, den AfD-Sympathisanten in sich selbst zu entdecken. Das ist kein Witz, sondern eine Technik, Selbstgefälligkeit zu erkennen. Die Kosten bestehen allerdings im Verlust des alten Meinungspanzers.
Jeder Besserwisser-Reflex hilft nur der Gegenseite. In der RBB-Inforadio-Sendung "12.22" wurden vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus Spitzenkandidaten der Parteien interviewt. Man sprach über diese und jene Themen. Nur dem Berliner AfD-Vorsitzenden wurde der Gefallen getan, ihn knapp 40 Minuten ausschließlich zu seinem Propagandathema Nummer Eins, der Flüchtlingsdebatte, zu befragen. Selbstverständlich hatte der smarte AfD-Mann die übereifrig entlarvungshungrige Moderatorin jederzeit im Griff. Die Sendung war kostenlose Parteienwerbung. Sie war zu gut gemeint.
Die Aufgeklärten fliegen einfach zu weit oben. Weit unter ihrem Radar werden Abschussanlagen gegen sie aufgebaut, und sie haben keinen Zugriff. Welche politischen Themen haben die radikale Rechte, also ihre Wähler, mobilisiert? Vieles deutet darauf hin, dass diese Themen Agenda 2010 und Bankenkrise heißen. Vielleicht muss man mal an erster Stelle über Ökonomie reden und an zweiter Stelle über Radfahrwege und Genderfragen. Eine falsche Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums und die Umverteilung von Zockerschulden systemrelevanter Banken auf die Bevölkerung werden nach wie vor als Skandale, ja als Klassenkampf von oben empfunden! Ohne Lösungen anzubieten, wissen die Ressentimentmanager der AfD solche Wut in Hass umzuleiten und für sich zu nutzen.Die Ressentimentmanager der AfD wissen die Wut und den Unmut der Bürger für sich zu nutzen.
Ich wünschte, die selbstgefühlt linksliberalen Kräfte prüften einmal ehrlich, auf welcher Seite sie eigentlich stehen. Die Ängste einer radikalisierten, politikverdrossenen Mitte würden sie vielleicht noch verstehen. Aber die der wütenden, abgehängten Globalisierungsverlierer auch? Im Alltag? In der U-Bahn? Oder im Dreitonner mit Start-Stopp-Automatik beim Blick auf die Leute, die die Ampel überqueren? Eine ehrliche Antwort macht vielleicht keinen Spaß. Aber sie muss sein.