Die Zukunft der linken Politik : Linke Politik muss deutliche Alternativen aufzeigen

Linke Politik ist unter Druck geraten. Brexit, Trump, verheerende Niederlagen in Frankreich, den Niederlanden und bei den deutschen Landtagswahlen folgen alle einem negativen Trend: Progressive Ideen entfalten offenbar keine Wirkung und Resonanz mehr.
Weit verbreitet ist die Analyse, dass sich linke Kräfte vornehmlich dem Abbau oder der Verminderung „horizontaler“ Ungleichheit beispielsweise zwischen Geschlechtern, sexuellen Orientierungen und Ethnien zugewandt haben. Darüber sei die „vertikale“, also einkommensbezogene Ungleichheit vernachlässigt worden. So forderten linke Parteien zwar gleiche Löhne für Männer und Frauen, würden die Existenz verschiedener Lohngruppen für die gleiche Arbeit jedoch nicht infrage stellen. Die Politikwissenschaftlerin Nancy Fraser identifiziert sogar eine Allianz von linken und neoliberalen Kräften. Der Pendelausschlag für rechte Parteien wird so begreifbar als eine Art stille Gegenrevolution derjenigen, die nicht von Globalisierung und kulturellen Freiheiten profitieren und deren Interessen von den „Progressiven“ offenbar nicht mehr vertreten werden. Breite soziale Schichten haben sich in den letzten Jahren vom Parteiensystem abgewandt.
Schon seit Jahren muss man die Abkehr breiter sozialer Schichten vom Parteiensystem, vor allem von den europäischen sozialdemokratischen Parteien registrieren. Zugleich wird das Aufstiegsversprechen in den OECD-Ländern nicht mehr eingelöst. Es verhärtet sich somit eine neue gesellschaftliche Konfliktlinie, die Globalisierungsgewinner und Globalisierungsverlierer trennt. Und zwar sowohl ökonomisch als auch kulturell. Bei der Debatte über die Geflüchteten zeigt sich, dass diese Linie keineswegs trennscharf zwischen Rechts und Links verläuft. Es gibt eine neue gesellschaftliche Konfliktlinie zwischen Globalisierungsgewinnern und -verlierern.
Gefordert wird ein „progressiver Populismus“ als Reaktion auf diese Entwicklungen. Dieser solle sich nicht mehr an einer linksliberalen und individualistischen Agenda orientieren, sondern viel mehr ein Programm für eine klassenbewusste und egalitäre Politik entwickeln.
Doch Vorsicht! Wenn die Linke jetzt vor lauter Angst vor der Gegenrevolution die mühsam erreichte kulturelle Liberalisierung opfert, besorgt sie das Geschäft ihrer politischen Gegner. Es muss vielmehr der Einsatz für soziale Gerechtigkeit mit dem Einsatz für Minderheitenrechte verbunden werden. Micha Brumlik schreibt, „dass Homophobie, Rassismus und Antisemitismus auch in „unteren“ Schichten weit verbreitet sind und daher entsprechende „linksliberale“ Reformen auch diskriminierten Angehörigen dieser Schichten zugute gekommen sein dürften.“Der Einsatz für soziale Gerechtigkeit muss mit dem Einsatz für Minderheitenrechte verbunden werden.
Die Entwicklung einer wie auch immer gearteten neuen Klassenpolitik würde zudem mindestens die Existenz eines Klassenbewusstseins voraussetzen. Es stimmt zwar, dass Lebenslagen in den OECD-Ländern nach wie vor durch extreme Ungleichheiten gekennzeichnet sind. Dennoch sind die durch ihre jeweiligen Lebensverhältnisse geprägten Menschen mitnichten eine Klasse, wohl aber schwindet die Solidarität der Mittelschicht mit dem unteren Drittel der Gesellschaft, weil die eigene Lage zunehmend als prekär empfunden wird.Es gibt kein Klassenbewusstsein im traditionellen Sinne mehr.
Es bedarf also eines anderen Ansatzes für eine erneuerte Linke:
Sie muss erstens deutliche Alternativen aufzeigen. Politik legitimiert sich nicht einfach nur nüchternes Verwalten kombiniert mit der Minimalisierung von Erwartungen sondern gerade dadurch, dass sie sagt, „was auf dem Spiel steht und welche Optionen es gibt“.Eine eneuerte Sozialdemokratie muss deutliche Alternativen aufzeigen.
Zweitens muss eine Rückbesinnung auf den Kern sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik erfolgen: Eine umfassende Bekämpfung der Ungleichheit setzt andere Schwerpunkte als die des Sparens und Konsolidierens als Selbstzweck. Es braucht einen Konsens darüber, dass Globalisierung und Digitalisierung sozial eingehegt werden müssen, damit alle profitieren.Linke Politik muss sich auf den Kern sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik zurückbesinnen.
Progressive Kräfte müssen dafür drittens wieder die Stimme für den gesellschaftlichen Grundkonsens werden, wie der Mainzer Politikwissenschaftler Gerd Mielke den Wunsch nach sozialstaatlicher Sicherung bezeichnet. Die Unterstützung für einen umfassenden Wohlfahrtsstaat ist immer noch ungebrochen. Es gibt also nach wie vor eine gesellschaftliche Mehrheit für sozialdemokratische Programmatik und die Konservativen können sich eigentlich nicht auf einen derartigen Konsens stützen.
Viertens stellt sich die Sozialdemokratie offen gegen das Trugbild einer homogenen Gesellschaft in geschlossenen nationalen Grenzen. Die meisten Menschen treten für Werte ein, die den Sozialdemokraten wichtig sind – für Gleichwertigkeit und Demokratie und Frieden.Die meisten Menschen treten für Werte ein, die den Sozialdemokraten wichtig sind.
Fünftens müssen Progressive ihre Sprache ändern und wieder einen glaubwürdigen Rahmen formulieren für ihr politisches Programm. Ein neues Narrativ gelingt, wenn sie wieder die politischen Kräfte der persönlichen Begegnung, des Gesprächs und der sozialen Initiative werden.
Das alles zeigt: Die Dahrendorf-These vom „Ende des sozialdemokratischen Zeitalters“ ist in der beschleunigten Moderne falsch. Aber die Bündelung dieser fünf Punkte bedarf programmatischer und personeller Anstrengungen. Progressive brauchen wieder die Konfliktbereitschaft sich nicht mit einer zementierten 2/3-Gesellschaft abzufinden.