Nach der Bundestagswahl : Am Scheideweg - Sind die Grünen nur eine Partei des Westens?

Große Erwartungen können leicht enttäuscht werden. Umgekehrt gilt aber auch, wer zu kleine Erwartungen hegt, freut sich fälschlich über vermeintliche Erfolge. Letzteres trifft auf Bündnis 90/Die Grünen nach der Bundestagswahl zu: Ihr Wahlergebnis kann nur vor dem Hintergrund der mäßigen Umfragen in den Wochen vor der Wahl als ein Erfolg betrachtet werden. Legt man eine andere, angemessenere Messlatte an, so ist das Wahlergebnis eher eine Enttäuschung. Ein wissenschaftliches Wahlprognosemodell, das sich auf alle vergangenen Wahlergebnisse stützt, hatte den Grünen ein deutlich besseres Ergebnis vorhersagt. Zudem sei daran erinnert: Noch letztes Jahr lag die Partei in der Sonntagsfrage bei durchgehend über 10 Prozent. Mit ihrem Ergebnis von 8,9 Prozent bei der Bundestagswahl lagen Bündnis 90/Die Grünen unter ihren Möglichkeiten. Die Grünen lagen bei der Bundestagswahl unter ihren Möglichkeiten
Seit dem Bestehen von Bündnis 90/Grünen folgten auf Verluste immer starke Zugewinne in der nächsten Wahl. In der ersten gesamtdeutschen Wahl 1990 erlebten sie einen starken Einbruch von dem sie sich aber 1994 schon fast ebenso stark erholten. In den Jahren 1998 und 2005 verzeichneten die Grünen leichte Verluste, denen aber in beiden Fällen starke Zugewinne in der nächsten Wahl folgten, besonders von 2005 auf 2009 nach der ersten großen Koalition unter Merkel. Dieser Trend scheint vorerst gestoppt. Nach starken Verlusten in 2013 folgten nun nur schwache Zugewinne. Selbst wenn 2009 als Ausreißer nach oben betrachtet wird, ist das Ergebnis von 2017 enttäuschend. Und das obwohl die Kernthemen der Partei, Soziale Gerechtigkeit, Umwelt und Integration, über die Zeit eher drängender geworden sind. Die Grünen sind eine Partei des Westens geblieben
Zugewinne bei der diesjährigen Bundestagswahl verzeichnete die Partei mit Ausnahme Brandenburgs in 2017 ausschließlich in den alten Bundesländern. Weiterhin zeigt sich: die Zugewinne der Partei waren dort am stärksten wo die Grünen sowieso schon stark sind. Dieses Muster zeigt sich auch innerhalb der Länder, welche starke Zuwächse für die Grünen verzeichneten, insbesondere in Bayern. Die starken Zugewinne mancher Landesverbände mögen zwar 2017 die Stagnation und Verluste anderer Landesverbände überkompensiert haben, aber langfristig darf dieses Resultat die Parteiführung nicht optimistisch stimmen.
Die Ergebnisse der Grünen fallen 2017 deutlich heterogener aus als noch 2013. Damals erzielten sie bei der Bundestagswahl ihr schlechtestes Ergebnis mit 4 Prozent in Sachsen-Anhalt und ihr bestes mit 12,7 Prozent in Hamburg, gefolgt von Berlin, Bremen und dann erst Baden-Württemberg.
In 2017 ist wiederum Sachsen-Anhalt Schlusslicht mit nur noch 3,7 Prozent. Spitzenreiter mit 13,9 Prozent ist weiterhin Hamburg, aber dicht gefolgt von Baden-Württemberg. Danach folgen Berlin, Schleswig-Holstein, Bremen und Bayern. Betrug die durchschnittliche Abweichung vom Bundesergebnis in 2013 noch 2,5 Prozent-Punkte, so beträgt sie mittlerweile 3 Prozent-Punkte – für eine Partei die bundesweit 8,9 Prozent erhielt, sind das beachtliche Schwankungen. Hätten bei dieser Bundestagswahl nur die neuen Bundesländer gewählt, wären die Grünen an der 5 Prozent-Hürde gescheitert.
Bündnis 90/Die Grünen droht ein Auseinanderklaffen in dauerhaft erfolgreiche, westliche und stagnierende, vornehmlich östliche Landesverbände. Den Grünen drohende stagnierende östliche Landesverbände
Auffällig ist auch, dass in allen drei anderen Bundesländern mit starken Zuwächsen – Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Hamburg – die Grünen an der Landesregierung beteiligt sind. Das könnte dafür sprechen, dass dort wo die Grünen in der Regierung sind, die Partei nach Wahrnehmung der Wähler gute Arbeit macht.
Ist das der Fall, sollte besonders in Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg die heterogene Zusammensetzung der Wählerschaft nicht abnehmen. Auch auf Wahlkreisebene legten die Grünen dort zu, wo sie auch schon gute Ergebnisse eingefahren haben. Zudem hängen hohes verfügbares Einkommen und niedrige Arbeitslosigkeit auf Wahlkreisebene stark mit den Gewinnen der Grünen zusammen.
Diese Trends auf Bundesebene sollten aber nicht auf Landtagswahlen übertragen werden.
Bündnis 90/Die Grünen verzeichneten bei der jüngsten Landtagswahl in Niedersachsen die stärksten Verluste, wo sie zuvor am stärksten waren. Allerdings erzielten sie auch ein außergewöhnlich gutes Ergebnis in der Landtagswahl im Januar 2013 bei der sie 13,7 Prozent erhielten. Im Vergleich dazu waren die Ergebnisse der Bundestagswahl in Niedersachsen stabil bei knapp 9 Prozent. Zudem waren die Bürger unzufrieden mit dem Regierungsbeitrag der Grünen, auch wenn eine Mehrheit eine Beteiligung der Partei an der Landesregierung befürwortete. Die hohe Wählerwanderung von den Grünen zur SPD (116 000 Stimmen laut infratest dimap) legt auch nahe, dass viele Grünen-Wähler strategisch die SPD gewählt haben, um die CDU als stärkste Kraft zu verhindern.
Manche Parteispitzen mögen nun vielleicht hoffen, dass, sollte es zu einer Jamaika-Koalition im Bund kommen, die Partei gestärkt aus der nächsten Wahl hervorgehen könnte, da positive Erfahrung mit Regierungsbeteiligungen in den Ländern bei Bundestagswahlen anscheinend honoriert werden. Langfristig erfolgreich werden die Grünen jedoch nur sein können, wenn sie sich dem regionale Auseinanderklaffen der Partei annehmen und den Blick aus den eigenen Hochburgen auf die Landes- und Kreisverbände mit schwächeren Wahlergebnissen richten. Die Grünen können nur erfolgreich sein, wenn sie sich dem regionalen Auseinanderklaffen der Partei annehmen
Was im Musterländle neue Ergebnisrekorde bringt, funktioniert nicht überall. Gerade die Zugpferde der Partei sind hier nun in der Pflicht, um mit ihren gestärkten Einfluss weitsichtig zu handeln. Das bedeutet als linksliberale Partei auch mehr Mut zu einem breiteren Gesellschaftsentwurf zu haben, der weniger wohlhabende Menschen anspricht und zugleich selbstbewusst aus der Mitte der Gesellschaft formuliert wird. Die Grünen stehen am Scheideweg und haben es selber in der Hand, ob sie in den nächsten Jahren nicht nur programmatisch, sondern auch regional geschlossen, progressive Politik mitgestalten können und wollen.