Familiennachzug und Recht : Eine weitere Aussetzung des Familiennachzuges verstößt gegen EU-Recht

Aufgrund der hohen Zahl der Asylsuchenden hatte der Gesetzgeber im Jahr 2016 „zur besseren Bewältigung der aktuellen Situation“ die vorübergehende Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten beschlossen. Dadurch sollten die Flüchtlingsströme besser bewältigt werden können.
Die Aussetzung erfolgte zu einem Zeitpunkt, nachdem kurz vorher der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten vereinfacht worden war, indem man den Nachzug von den Voraussetzungen her mit der Familienzusammenführung zu anerkannten Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention gleichstellte. Somit konnten für einen kurzen Zeitraum auch Familienangehörige von subsidiär Schutzberechtigten unter erleichterten Bedingungen ein Visum zum Familiennachzug erhalten, auf Lebensunterhaltssicherung, ausreichenden Wohnraum und Spracherfordernis kam es weitgehend nicht an.
Dass der Gesetzgeber subsidiär Schutzberechtigte mit anerkannten Flüchtlingen auf die gleiche Stufe stellte, war weniger eine nationale Wohltat, sondern ergibt sich aus den Vorgaben des Rechts der Europäischen Union. Nach dem Recht der europäischen Union sind „international Schutzberechtigte“, also sowohl Flüchtlinge als auch subsidiär Schutzberechtigte gleich zu behandeln. So heißt es in Erwägungsgrund 39 der Qualifikationsrichtline 2011/95/EU: „Bei der Berücksichtigung der Forderung des Stockholmer Programms nach Einführung eines einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anspruch auf subsidiären Schutz und abgesehen von den Ausnahmeregelungen, die notwendig und sachlich gerechtfertigt sind, sollten Personen, denen subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, dieselben Rechte und Leistungen zu denselben Bedingungen gewährt werden wie Flüchtlingen gemäß dieser Richtlinie.“
In einer Mitteilung der Kommission heißt es: „Die Kommission weist darauf hin, dass die Richtlinie nicht so ausgelegt werden darf, als seien die Mitgliedsstaaten verpflichtet, Personen, die vorübergehenden oder subsidiären Schutz genießen, das Recht auf Familienzusammenführung zu verwehren. Nach Auffassung der Kommission unterscheiden sich die humanitären Schutzbedürfnisse von Personen, die subsidiären Schutz genießen, nicht von denen der Flüchtlinge; die Kommission fordert die Mitgliedsstaaten auf, Vorschriften zu erlassen, die Flüchtlingen und Personen, die vorübergehenden oder subsidiären Schutz genießen, ähnliche Rechte gewähren. Die Konvergenz der beiden Schutzformen wird auch in der Neufassung der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU, die zum „EU-Asylpaket“ gehört, bestätigt. Die Mitgliedsstaaten sind auf jeden Fall, auch wenn eine Situation nicht unter das Recht der Europäischen Union fällt, zur Achtung der Art. 8 und 14 EMRK verpflichtet.“
Art. 23 der Qualifikationsrichtline schreibt entsprechend vor, dass der Familienverband für alle Menschen mit internationalem Schutz durch die Mitgliedstaaten aufrecht zu erhalten ist.Nach EU-Recht gilt der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte und anerkannte Flüchtlinge gleichermaßen.
Der Ausschluss vom Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten ist somit eindeutig rechtswidrig. Sollte es zu einer Verlängerung von z. B. weiteren zwei Jahren der Aussetzung kommen, würde es sich in den allermeisten Fällen faktisch um einen Ausschluss handeln. Unter Berücksichtigung der langen Verwaltungsverfahren für eine Visavergabe, dürften sich die Wartezeiten insgesamt auf fünf bis sechs Jahre belaufen. Viele Flüchtlinge, die als unbegleitete minderjährige Kinder nach Deutschland gekommen waren, hätten dann ihre Jugend in Deutschland ohne ihre Eltern und Geschwister verbracht und mit Volljährigkeit wäre ein Anspruch auf Nachzug entfallen. Bei Erwachsenen dürfte davon auszugehen sein, dass viele Ehen die Belastung einer fünfjährigen Trennung nicht überdauern werden.Eine weitere Aussetzung des Nachzuges ist den Familien und vor allem minderjährigen Flüchtlingen nicht zumutbar.
Die aktuellen Zahlen der Asylbewerber liegen weit unter den Zahlen des Jahres 2015 oder 2016. Die damals „aktuelle Situation“ besteht heute somit also nicht mehr. Die aktuelle Debatte dient der Befriedigung einer rechtspopulistischen Wählerschaft und ist eine Reaktion auf die Ergebnisse der letzten Bundestagswahl. Eine Bekämpfung des Rechtspopulismus durch die Übernahme seiner Forderungen stärkt weder Demokratie noch die Menschenrechte. Wenn man den Familiennachzug zu einer Gruppe von Ausländern, welche in Deutschland mit Aufenthaltserlaubnis leben und arbeiten, faktisch ausschließt, schafft dies nicht nur humanitäre Härten im Einzelfall, sondern es legt die Wurzeln für ein gesamtgesellschaftliches Problem. Die Menschen, denen man die Vereinigung mit ihrer Familie verwehrt, werden diskriminiert und sie werden sich dadurch zurecht auch diskriminiert fühlen. Man verankert damit das Gefühl, an sich nicht dazu zu gehören und kein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu sein. Genau solche Erfahrungen sind es, die Menschen mit Migrationshintergrund ebenfalls in die Arme von Populisten treiben können (für die größeren Zusammenhänge sei in diesem Zusammenhang das Buch von Souad Mekhennet, „Nur wenn du allein kommst“ empfohlen).
Ein weiterer Nebeneffekt des faktischen Ausschlusses des Familiennachzugs wird sein, dass Familienangehörige versuchen werden, illegal nach Europa bzw. nach Deutschland einzureisen. Dies wiederrum wird die Systeme der südeuropäischen Mitgliedsstaaten belasten und somit keinen Beitrag zum europäischen Zusammenhalt liefern. Man sollte vorsichtig sein, um sich durch ein Drücken der Einwanderungszahlen an dieser Stelle keinen Bärendienst zu erweisen.