Organspende-Debatte : Es muss ohne Widerspruchslösung gehen!
Vorweg, um möglichen Missverständnissen vorzubeugen: Ich besitze einen Organspendeausweis und habe mich mit allen anderen Mitgliedern des Deutschen Ethikrats 2015 gemeinsam dafür eingesetzt, die Zahl der Organspenden zu erhöhen. Denn mit der Organspende besteht die Möglichkeit, schwer leidenden Menschen zu helfen – oder religiös gesprochen: Nächstenliebe zu üben. Das Ringen um für oder wider Widerspruchslösung ist nicht gleichzusetzen mit der Debatte: Organspende ja oder nein! Mit der geplanten Widerspruchslösung sollen Verpflichtung und Abgabe in den Mittelpunkt gestellt werden.
Aber der jetzt diskutierte Wechsel von der Zustimmungs- oder Entscheidungslösung zur Widerspruchslösung stellt aus meiner Sicht einen tiefgreifenden und unnötigen Paradigmenwechsel dar: Er wird das Gegenteil dessen erreichen, was er beabsichtigt: Ob die Transplantationszahlen hochgehen, kann vermutet werden, ist aber nicht sicher. Klar ist aber, das Vertrauen in ein angeschlagenes System wird noch mehr abnehmen. Warum? Die bisherige Organspende trägt den Charakter von Freiwilligkeit und von wohltätiger Solidarität mit Schwerstkranken. Mit der geplanten Widerspruchslösung sollen Verpflichtung und Abgabe in den Mittelpunkt gestellt werden. Eine solche Regelung machte den menschlichen Körper zu einem Objekt staatlicher Sozialpflichtigkeit. Sterben und Tod werden generell einer Nützlichkeitslogik unterstellt, statt sie als radikalste Herausforderung des Sterbenden und der Angehörigen anzuerkennen und die nur nach ausdrücklichem Willen und nicht bei Schweigen ein Zweitsinn gegeben werden darf. Es wäre ehrlich, nun statt von Organspende von genereller Organabgabepflichtigkeit zu sprechen. Bei so komplexen Fragen darf man nicht unterstellen, dass der Nichtwiderspruch mit einer Zustimmung gleichzusetzen ist.
Richtig ist zwar: Man selbst oder die Angehörigen sollen widersprechen können. Aber die bisher als selbstverständlich erachtete Integrität des Körpers wird in Frage gestellt und der bisher nicht bezweifelten Verfügungsmacht über den eigenen Körper wird eine Beweislast aufgebürdet. In diesem höchst persönlichen Bereich eine Aussagepflicht von jedem Bürger über 18 Jahren zu verlangen, widerspricht m.E. dem Geist, mit dem Gesetzgeber und Gerichte bisher die Verfassung ausgelegt haben. Der Generalschutz dieser höchstpersönlichen Freiheit soll ja nicht nur denen, die sich für andere nicht interessieren oder die sich keine ernsthaften Fragen nach dem Sinn des Lebens stellen, gelten, sondern auch für alle, die sich in solchen Fragen überfordert sehen. Gerade bei so komplexen Fragen rund um die Organtransplantation, bei der es nicht nur darum geht, ob man anderen helfen will, sondern auch darum wie man den Tod und das Sterben als Individuum und in Gemeinschaft mit anderen Menschen begreift, gibt es massive Unsicherheit. Hier darf man nicht unterstellen, dass der Nichtwiderspruch mit einer Zustimmung gleichzusetzen ist. So gering die Mühe des Einzelnen wäre, sich zu dieser Frage zu verhalten, so übergriffig gegenüber dem höchstpersönlichen Bereich wäre die erwähnte Unterstellungspraxis und das Begehren des Staates. Es ist jedenfalls erstaunlich, mit welcher Sorglosigkeit eine solche, Jahrzehnte bewährte Auslegung der Verfassung aufgegeben werden soll – und wie viele diese These vertreten, die sonst die negative Freiheit so hochhalten. Man soll ja sehr vorsichtig sein, schiefe Ebenen und Dammbrüche herbeizureden. Aber so mancher dürfte die Widerspruchslösung als Einladung begreifen, auch in anderen, die Gesundheit befördernden Bereichen wie bspw. bei der Beteiligung an Forschungsprojekten oder bei der Normierung von Lebensstil oder Ernährungsgewohnheiten Ähnliches sanktionsbewehrt zu fordern. Datenweitergabe braucht die ausdrückliche Zustimmung und für die Verwendung von Organen soll Widerspruch reichen?
Treten wir einen Schritt zurück, um zu sehen, wie ungewöhnlich die diskutierte Widerspruchslösung ist: Es wird als ein großer Fortschritt gefeiert, dass die neue Datenschutzgrundverordnung die ausdrückliche Zustimmung bei jeder Datenweitergabe fordert. Und nun wird debattiert, dass bei der Verwendung des eigenen Körpers über den Tod hinaus allein der Widerspruch ausreiche. Letzteres ist doch viel eingriffstiefer als die Zustimmung bei einer Datennutzung! Das passt nicht zusammen. Im Bereich der Organspende ist jede Form der Aufklärung und Werbung erlaubt, ja geboten, die Organspendebereitschaft zu erhöhen. In den Strukturdefiziten liegt das größte Problem Organspender zu rekrutieren, nicht in der Bereitschaft.
Wie aber kann und soll die Zahl der Organspender erhöht werden? Das deutsche Transplantationssystem hat seit vielen Jahren ein großes Glaubwürdigkeitsproblem. Nicht nur Unregelmäßigkeiten auf den Wartelisten und Undurchsichtigkeiten der Vergabe haben viel Kredit verspielt, sondern auch die mangelnde Bereitschaft, die Bedenken zahlreicher Menschen ernst zu nehmen, die den Hirntod nicht mit dem Tod des Menschen identifizieren. Vor allem haben die Akteure es versäumt, die schon seit Jahren angemahnten Struktur- und Finanzverbesserungen konsequent anzugehen. Wie noch jüngst in einer Studie im Ärzteblatt belegt, liegt in den Strukturdefiziten das größte Problem der Rekrutierung von Organspendern – und nicht darin, dass man die vermeintlich trägen Deutschen zur Solidarität zwingen müsste. Auch der Systemvergleich mit anderen Ländern fördert zu Tage: Nicht mit der Einführung der Widerspruchslösung ändert sich viel, sondern dann, wenn grundlegende Strukturverbesserungen eingeführt worden sind.Die neuen Gesetzte zeigen, dass nicht alles Denkbare vergeblich versucht wurde, um die Spendebereitschaft zu steigern.
Es ist daher vollständig zu begrüßen, wenn die Politik nun endlich plant, die erkennbaren Defizite zu beheben: die Rolle des Transplantationsbeauftragten zu stärken, die Vergütung der Entnahmekrankenhäuser deutlich zu verbessern, aber auch die Kommunikation in diesem hochsensiblen Bereich zu fördern. Hier muss man erst abwarten, ob diese Maßnahmen greifen. Es erstaunt jedenfalls, dass einerseits die Einführung der Widerspruchslösung damit begründet werden soll, dass man alles Denkbare zur Steigerung der Organspendebereitschaft vergeblich versucht habe. Und andererseits kündigt man quasi zeitgleich eine weitere Strukturreform an: Offensichtlich hat man doch nicht alles versucht oder traut der eigenen Initiative nicht ...Es muss abgewartet werden, ob die neuen Maßnahmen der Politik greifen, bevor Druck aufgebaut wird.
Jenseits dieser Doppelbotschaft muss festgehalten werden: gerade wird ein Paket zusammengeschnürt, in dem die einzelnen Teile nicht zusammengehören: eine sinnvolle Reform, die verspricht, die Zahl der Transplantationen zu erhöhen, und ein übergriffiges Verfahren, dass alle Züge trägt, das Vertrauen ins System nochmals zu schwächen. Warum schichtet man nicht ab und fängt mit den Strukturreformen an. Wenn diese nicht fruchten, mag man daran denken, das derzeit völlig ineffektive Verfahren der so genannten Entscheidungslösung zu verbessern – warum hier nicht über Anreize oder dann irgendwann auch gewissen Druck nachzudenken, sich zur Organtransplantation zu verhalten? All das wäre möglich, ohne den Sündenfall zu begehen, schon jetzt die in der Würde begründete Verfügungsmacht über den eigenen Körper in Frage zu stellen. Mit diesem Vorschlag gewinnt man nicht das dringend benötigte Vertrauen in das Transplantation und schadet womöglich am Ende auch den Patienten, um die es doch gehen muss.