Aleppo, Syrien und der Westen : Deutschlands Bündnisse mit der Türkei und Saudi Arabien sind der wahre Fehler

Niemand hat in Syrien nicht versagt – das ist die traurige Wahrheit nach über fünf Jahren Krieg in diesem Land. Und ja, natürlich hat ganz zuvorderst auch “der Westen” versagt. Allerdings keinesfalls so, wie es nun allerorten diskutiert wird. Es war richtig, dass die USA und Deutschland nicht direkt gegen Assad und seine Verbündeten interveniert haben.
Dass weder Obama noch Merkel noch Hollande es wirklich darauf angelegt haben, direkt gegen Assad und seine Verbündeten – Iran und Russland – zu intervenieren, ist möglicherweise der einzige Fehler, den sie nicht begangen haben. Denn dies hätte erstens die militärische Konfrontation – und damit das Leid der Zivilbevölkerung – nur eskaliert. Und zweitens haben einige Dutzend ausländische Interventionen im syrischen Bürgerkrieg bisher keinesfalls zu einem Ende von Mord und Raub geführt – im Gegenteil! Wer nun den Konjunktiv vom Versagen in Aleppo durch die Arena trägt, lenkt davon ab, dass „der Westen“ in Syrien keinesfalls untätig war und ist – er tut dort nur radikal das Falsche. Die Verbrechen Russlands und des Assad-Regimes dürfen nicht ignoriert werden.
Natürlich ist es richtig, dass die Verbrechen des Regimes Assad und Russlands in Syrien nicht einfach ignoriert werden dürfen. Das systematische Aushungern oppositioneller Gebiete, abscheuliche Luftangriffe mit Fassbomben und Chlorgas auf Wohnbezirke und massenhafte Vertreibungen sind unerträglich und lassen sich durch nichts relativieren. Wer diese Form der Kriegsführung gegen eine Zivilbevölkerung unterstützt, ist ein Menschenfeind, egal ob er im Kreml oder im Bundestag in Berlin sitzt. Das Versagen in Syrien geht auf die falsche Türkei- und Saudi-Arabien-Politik des Westens zurück - und deren Bewaffnung.
Das moralische Problem, das allerdings die Bundesregierung hat, wenn sie auf Putin und Assad zeigt, sind ihre eigenen engen Freunde in diesem Krieg. Und hier sind wir tatsächlich mittendrin in der Aneinanderreihung von Fehlern, egoistischer Interessenpolitik und moralischem Totalversagen in Berlin, Brüssel und Washington: Wer mit einem Autokraten wie dem türkischen Diktator Erdogan Länder demokratisieren möchte, sich dabei Islamisten und Djihadisten von Al Qaida als Fußtruppe einsammelt und diese dann aus Saudi-Arabien und Qatar bewaffnen und bezahlen lässt – ja, der hat in Syrien tatsächlich bitter versagt.
Der zivile Aufstand gegen Assad Anfang 2011 hat Hoffnung gemacht auf ein Syrien der Freiheit. Er war nicht originär islamistisch und hat in einigen Regionen des Landes – insbesondere im kurdisch geprägten Norden – soziale und demokratische Verbesserungen gebracht, die bis heute wirken. Aber Deutschland und seine westlichen Partner haben diesen Aufstand selber verraten, als sie sich auf die Seite der Türkei und der Golfmonarchien schlugen, die ihre je eigenen Interessen verfolgen und in Syrien einen Stellvertreterkrieg führen, bei dem es schon lange nicht mehr um Syrien oder gar die Menschen in Syrien geht.Der Westen hat in den Friedensverhandlungen Chancen verstreichen lassen, wann immer er sich überlegen fühlte.
Und der Westen hat bei den verschiedenen Wiener und Genfer Friedensverhandlungen den gleichen Fehler gemacht wie Assad: Wann immer sie dachten, militärisch in der Vorderhand zu sein, haben sie eine Friedenslösung torpediert. Verhandlungsbereit war immer nur die aktuell schwächere Seite. Als 2012 Assads Rücktritt angeboten wurde, hat der Westen höhnisch lachend abgelehnt – das ist das eigentliche, schlimme und tausendfach tödliche Versagen der Bundesregierung, der EU und der Nato!Europas Unterstützung für Erdogans Kampf gegen die säkularen, demokratischen syrischen Kurden ist ein schwerer Fehler.
Die Chance zu zeigen, ob man in Außenministerium oder Kanzleramt ein wenig schlauer geworden ist, gibt es schon heute. Einige der Rebellentruppen, die nun aus Aleppo abziehen, will die Türkei umgehend in ihre angebliche Offensive gegen den IS in Nordsyrien einbinden. Dass diese Offensive allerdings mindestens so sehr gegen die syrischen Kurden wie gegen den Islamischen Staat gerichtet ist, ist ein offenes Geheimnis. Nur zur Erinnerung: Die kurdischen Milizen sind heute die einzigen relevanten Kräfte in Syrien, die weder die Scharia einführen wollen, noch die Folterkeller Assads verteidigen. Sie stellen all das dar, was der Westen sich seit Jahrzehnten sehnlichst für den Nahen Osten herbeiwünscht: eine säkulare, multiethnische, demokratische Kraft, die ein friedliches Miteinander der verschiedenen Kulturen und Religionen zur obersten Maxime erklärt.
Aber in der paranoiden Welterklärung Erdogans, dem nach wie vor wichtigsten Verbündeten Deutschlands in der Region, ist jeder ein Terrorist, der gegen ihn ist. Ob dies nun ein Kopfabschneider vom IS ist oder eine Parlamentsabgeordnete, die für kurdischen Sprachunterricht streitet. Wenn die Türkei eine Anti-Terror-Operation in Syrien führt, bekämpft sie dort vor allem die kurdische Autonomie. Dass sie hierbei von Deutschland weiterhin durch den direkten Einsatz der Bundeswehr wie auch durch den ungehemmten Export von Kriegsmaterial befähigt wird, ist ein Armutszeugnis für Merkel, Steinmeier und Gabriel.Das Bündnis mit der türkischen AKP-Regierung ist ein wichtiger Grund für das Versagen Deutschlands in Syrien.
Solange die Bundesregierung es nicht schafft, aus diesem Bündnis mit dem AKP-Regime in der Türkei auszubrechen, wird auch ihr vollständiges Versagen in der Syrienpolitik nicht enden.