Sind Flüchtlinge ein Terror-Risiko? : Das Narrativ der Terroristen muss durchbrochen werden

Würzburg und Ansbach im Sommer, ein knapp verhindertes Sprengstoffattentat im Herbst, dann der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz – in allen Fällen waren Täter Flüchtlinge, die erst kürzlich in Deutschland Aufnahme gefunden hatten. Die öffentliche Diskussion, gerade in den sozialen Medien, ist entsprechend aufgeheizt. Tote und Verletzte werden Bundeskanzlerin Merkel persönlich angelastet, die mit der Öffnung der Grenzen für syrische Flüchtlinge im Sommer 2015 erst die Voraussetzungen für den Terrorismus bei uns geschaffen habe. Über Attentäter verfügt der IS auf absehbare Zeit genug - auch ohne Flüchtlinge
Dahinter steckt die schlichte Logik: keine Flüchtlinge, keine Anschläge. Die Forderung lautet demnach, keine oder möglichst wenige Flüchtlinge ins Land zu lassen. Doch diese Schlussfolgerung springt zu kurz. Der Islamische Staat (IS) hat sich einzelner Flüchtlinge bedient, das ist richtig, aber es ist ein Irrglaube zu denken, er sei auf diese angewiesen. Allein die Zahl der europäischen Kämpfer des IS geht in die Tausende, hinzu kommen weitere erkannte Gefährder bzw. eine unbekannte Zahl an Personen, die die Ziele des IS unterstützen, aber bisher nicht entsprechend auffällig geworden sind. Bouhlel, der Fahrer des Lastwagens in Nizza, gehörte zum Beispiel zu diesem Kreis. Und wir dürfen uns nicht nur auf Deutschland fokussieren, sondern müssen den gesamten Schengen-Raum im Blick haben. Die Täter von Paris oder Brüssel hätten ebenso gut nach Köln fahren können, um dort ihre Bomben zu zünden. Über Attentäter verfügt der IS auf absehbare Zeit genug. Der Narrativ der Terroristen muss durchbrochen werden
Zu denken geben, sollte uns vielmehr die Tatsache, dass es den Terroristen seit Jahren gelingt, andere von ihrer Sicht der Welt zu überzeugen und somit beständig Nachwuchs zu generieren. Danach sei es in Wahrheit der Westen, der gegen den Islam Krieg führe, die Anschläge der Terroristen seien nur die Gegenwehr. Als Belege hierfür dienen etwa die beiden letzten Kriege gegen den Irak, die Luftangriffe der internationalen Militärkoalition in Syrien auf den IS, bei denen es auch zu zivilen Opfern kommt, oder eben die Indifferenz, wenn es um Tod und Leiden in Syrien und dem Jemen geht. Für die westlichen Länder zählen, so die Sicht der Jihadisten und ihrer Sympathisanten, Tote nur dann, wenn sie auch aus dem Westen kommen.
Egal, wie verzerrt dieses Bild sein mag, wenn es langfristig nicht immer neue Anschläge geben soll, muss es gelingen, diesen Narrativ zu durchbrechen, die Attentäter wachsen sonst einfach nach. Das ist eine Gratwanderung, denn natürlich können wir aus Angst, Argumente für Gewalt zu liefern, unsere Politik nicht von islamistischen Extremisten diktieren lassen. Sehr hilfreich wäre es aber, dieses Bild nicht noch unnötigerweise zu bestätigen. Bei 4,7 Millionen Moslems in diesem Land ist zum Beispiel die Debatte darüber, ob der Islam zu Deutschland gehöre, abwegig und kann nur als Ausgrenzung wahrgenommen werden. Genauso dürfen wir nicht einfach wegsehen, wenn es um die Opfer einer humanitären Katastrophe wie dem syrischen Bürgerkrieg geht, sondern sollten durch Hilfe in der Region wie auch durch Aufnahme von Flüchtlingen beweisen, dass uns Menschen nicht dann egal werden, wenn es Moslems sind. Eine großzügige Flüchtlingsaufnahme unterläuft die IS Propaganda
Dies gilt umso mehr, als der Anteil der Terroristen an den Flüchtlingen im Promillebereich liegt. Hunderttausende ihrem ungewissen Schicksal zu überlassen, um die Einreise eines potenziellen Terroristen zu verhindern, nährt die Propaganda von IS und anderen und schafft in der Konsequenz neue Terroristen, genau das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung. Umgekehrt entspricht großzügige und für jedermann erkennbare Hilfe nicht nur den Werten unseres Gemeinwesens, sie unterläuft diese Propaganda auch.Mehr Videoüberwachung wäre ein Schritt zu mehr Sicherheit
Allerdings, mit humanitären Maßnahmen alleine ist es nicht getan. Die terroristische Bedrohung ist da, also müssen wir im Bereich der unmittelbaren Sicherheitsvorsorge unsere Hausaufgaben machen. Zwei Beispiele: Die deutsche Sicherheitsarchitektur ist auf Grund der föderalen Struktur durch zahlreiche Verantwortlichkeiten und entsprechend viele Schnittstellen gekennzeichnet. Genauso wie Verteidigung sollte auch innere Sicherheit vor allem eine bundesstaatliche Aufgabe sein. Die Vorschläge von Innenminister de Maizière gehen deshalb in die richtige Richtung. Zum zweiten sollte die Videoüberwachung ausgebaut werden. Dass wir Bilder aus Lyon und Turin haben, die uns den Fluchtweg von Amri zeigen, aber keine Videoaufzeichnungen vom Berliner Weihnachtsmarkt oder dessen Umgebung spricht für sich. Solche Bilder sind wichtig, sie können zum Beispiel zeigen, dass ein Attentäter mit anderen Personen Kontakt hatte oder auf sich allein gestellt war. Das beliebte Gegenargument, dass Videoüberwachung keine Anschläge verhindere, geht fehl; wenn man ideologisch motivierte Massenmörder oder deren Helfer auf Grund von Videoaufzeichnungen findet, verhindert man auch künftige Anschläge dieser Personen.
Der Fall Amri wirft weitere Fragen auf, zum Beispiel nach der Durchsetzung längst vorhandener rechtlicher Möglichkeiten, wie Meldeauflagen, Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber usw. Es sind jetzt vor allem diese praktischen, den Behördenalltag betreffenden Probleme, denen wir uns zuwenden müssen. Vermeintlich einfache Lösungen wie eine radikale Umkehr in der Flüchtlingspolitik lenken dagegen von den eigentlichen Aufgaben nur ab.
Der Artikel gibt die Meinung des Autors, nicht der BAKS wider