Contra Kopftuchverbot für Kinder : Ein pauschales Verbot ist gefährlich

Meine Schwägerin ist die beste Lehrerin, die ich kenne. Geweint hat ihre Klasse, als ihre Zeit als Vertretungslehrerin in einer Problemschule zu Ende ging. Die sonst als schwer erziehbar verrufenen Schüler hatten schweren Herzens Geschenke und Briefe zum Abschied mitgebracht. Denn ihre Lehrerin hatte ihnen nicht nur Deutsch und Mathematik beigebracht, sie hatte an sie geglaubt, sie herausgefordert und ihnen Mut gemacht. Doch trotz Bestnoten hat meine Schwägerin immer noch keine feste Anstellung. So beliebt sie bei den Schülern auch sein mag: Die Lehrer haben Angst vor ihr - denn sie trägt ein Kopftuch. Die regelmäßig aufpoppende Debatte über Kopftuchverbote, sei es für Lehrerinnen oder Schülerinnen, hinterlässt ihre Spuren. Dabei gibt es nicht einen einzigen gemeldeten Fall in dem das Kopftuch den Schulfrieden gestört hätte. Es gibt keine konkreten Zahlen über die Anzahl von Schülerinnen, die ein Kopftuch in der Grundschule tragen. Und man weiß auch nicht viel über ihre Motive. Man weiß nicht viel über die Motive junger Kopftuchträgerinnen
Es gibt jedoch eines, das wir seit kurzem mit Gewissheit wissen: Fast 90 Prozent aller Schülerinnen sind gegen ein Kopftuchverbot! Diejenigen, die ein Verbot am stärksten treffen würde und die direkt davon beeinflusst wären, lehnen es mit überwältigender Mehrheit ab. Das zeigt eine kürzlich veröffentlichte, repräsentative Studie des DeZIM-Instituts. Wie wenig die öffentlich erregt geführte Debatte mit der tatsächlichen Lebensrealität zu tun hat, zeigen auch folgende Ergebnisse: Menschen, die keinen Kontakt zu Muslimen haben und die Pluralität und Migration ablehnen, befürworten ein Kopftuchverbot eher. Dagegen lehnen 70 Prozent derjenigen, die auch nur ab und zu mit Muslimen zu tun haben, ein Verbot ab – wie auch die Mehrheit der deutschen Bevölkerung. Schülerinnen lehnen ein Verbot mit überwältigender Mehrheit ab
Wie wichtig das persönliche Gespräch ist, weiß auch meine Schwägerin. Vor ihrem ersten Elternabend wird sie von der Schulleitung vorgewarnt: Es könnte Probleme geben. Doch dieselben Eltern, die im Vorfeld noch krittelten, sind nach dem Elternabend kaum wiederzuerkennen, so sehr sind sie von der Kompetenz und dem Humor der neuen Lehrerin angetan. Warum also diskutieren wird alle paar Monate über dieses Stück Stoff ohne auf die konkreten Fälle und empirischen Zahlen zu schauen? Geht es wirklich um das Kindeswohl?
Immer wenn Zwang im Spiel ist, ist eine Grenze überschritten. Wir verkennen jedoch, dass dies in den seltensten Fällen zutrifft. Unabhängige Beratungsangebote, pädagogische Maßnahmen und gezielte Intervention sind dann zielführender als mit einem gesetzlichen Pauschalverbot eine Kultur des Verdachts zu nähren. Gerade Muslime könnten dabei sinnvolle Kooperationspartner sein. Denn Moscheegemeinden und Imame erklären unisono, dass das Kopftuch für Kinder nicht vorgeschrieben ist. Die Schule ist jedoch kein steriler Ort, den man mit Verboten „schont“, sondern die beste Umgebung, um den Umgang mit Konflikten zu lernen und auf eine plurale Gesellschaft vorzubereiten. Unabhängige Beratungsangebote und gezielte Intervention sind zielführender als ein gesetzliches Pauschalverbot
Ein einseitiges Verbot dagegen problematisiert ein Kleidungsstück, dem ohnehin mit Misstrauen begegnet wird. Dass es für viele junge Frauen ein Ausdruck ihrer Spiritualität, ihrer Liebe zu Gott und ihrer religiösen Identität ist, wird kaum bedacht. Dabei können religiöse Werte eine kräftespendende Ressource für jungen Menschen sein. Und auch wenn Kinder ihre Eltern nachahmen, spricht das für eine gute Beziehung – und nicht unbedingt für Nötigung. Das Kopftuch ist für viele junge Frauen ein Ausdruck ihrer Spiritualität
Ohnehin wirkt der Druck seitens der Mehrheitsgesellschaft spätestens ab der Pubertät deutlich stärker: Der soziale Druck, schön, schlank, erfolgreich und sexy zu sein, ist popkulturell omnipräsent und steht in keinem Verhältnis zu dem Einfluss, den eine Minderheit kurzzeitig auszuüben vermag. Der Druck, das Kopftuch abzulegen, um seine Karriere nicht zu ruinieren oder schlicht, um der sozialen Ächtung zu entgehen, ist es, der Frauen mindestens ebenso zusetzt wie der Druck seitens Teilen der muslimischen Community. Feministisch zu sein heißt, Frauen zu unterstützen ihren Weg in Freiheit zu gehen und sie nicht mit staatlich oktroyierten Verboten zu schikanieren.Feminismus heißt, Frauen zu unterstützen, ihren Weg in Freiheit zu gehen und nicht staatlich oktroyierte Verbote
Feminismus heißt auch, sich nicht unbedingt an der Mehrheitsnorm orientieren zu müssen. Eine Mehrheitsnorm, die im Sommer nicht selten so aussieht, dass die Mädchen einer Klasse Hotpants und Spaghettiträger tragen, während die Jungen deutlich bedeckter angezogen sind. Wer das Kopftuchverbot mit einer vermeintlichen Sexualisierung von Mädchenkörpern begründet, gleichzeitig aber kein Verbot von gesellschaftlich weit verbreiteten Phänomenen wie gendergenormter Kleidung und frauenverachtenden Castingshows fordert, macht sich unglaubwürdig. Vor allem wenn die Forderung nicht mit einem Verbot anderer religiös motivierter Kleidung wie Kippa, Turban und Kreuz einhergeht.Wer das Kopftuchverbot will, muss auch gendergenormte Kleidung und frauenverachtende Castingshows verbieten
Der einseitige Ruf nach einem Kopftuchverbot ist nicht nur diskriminierend, er ist verfassungswidrig und drängt eine bereits marginalisierte Minderheit weiter in die Ecke. Was bei Muslimen ankommt ist: Wir wollen euch nicht und mit Werten wie Gleichbehandlung, Chancengleichheit und Religionsfreiheit meinen wir es nicht so genau. Selbstredend, dass Personaler angesichts eines solch angeheizten Klimas selten ihre Vorurteile überwinden und eine Hijabi einstellen. Gesellschaftspolitisch passiert damit genau das, was verhindert werden soll – die Integration und Emanzipation muslimischer Frauen wird nicht nur erschwert, sie wird regelrecht behindert.Integration und Emanzipation muslimischer Frauen wird durch ein Kopftuchverbot regelrecht behindert
Statt das Kopftuch durch Verbotsforderungen zum roten Tuch zu erklären, brauchen wir mehr Räume, die Muslime und Nicht-Muslime ins Gespräch bringen. Meine Schwägerin würde dann vielleicht erzählen, dass ihr Mann jeden Abend die Küche putzt und auch sonst nicht viel von männlichem Chauvinismus hält. Wer mit denjenigen Köpfen spricht über deren Köpfe hinweg sich gerne um Kopf und Kragen geredet wird, der merkt schnell: Manch ein Kopf mit Tuch ist freier als die selbst ernannten „Frauenbefreier“ mit Brett vorm Kopf.