Begrenzung der Einwanderung : Warum die Obergrenze rechtswidrig bleibt

Am vergangenen Wochenende einigten sich die Unionsparteien nach monatelangem Ringen auf eine „Obergrenze“ von 200.000 Flüchtlingen im Jahr. Diese Einigung ist Teil eines Bündels migrationspolitischer Maßnahmen, mit denen die Union versucht zu demonstrieren, dass der Staat die Kontrolle über die Fluchtbewegungen behalten kann. Doch was ist eigentlich eine Obergrenze? Und: ist sie rechtlich überhaupt zulässig?
Die Idee einer Obergrenze für Flüchtlinge klingt einfach: Es wird eine Maximalzahl an Flüchtlingen festgesetzt, die pro Jahr aufgenommen werden sollen. Dies bedeutet, dass weitere Schutzsuchende an der Grenze zurückgewiesen werden. Ihre Schutzbedürftigkeit wird dann gar nicht erst geprüft. Die Obergrenze soll ja gerade die Anzahl der aufgenommenen Flüchtlinge unabhängig davon fixieren, ob noch weitere Schutzbedürftige das Land erreichen.
Wer eine solche Obergrenze fordert, fordert einen Verstoß gegen das Grundgesetz und die Menschenrechte. Im Grundgesetz garantiert Art. 16a GG ein individuelles Recht auf Asyl, d.h. wer politisch verfolgt ist, muss in Deutschland Schutz bekommen, egal wie viele Flüchtlinge vor ihm aufgenommen wurden. Auch gegen das Völkerrecht würde eine solche Obergrenze verstoßen: Die Genfer Flüchtlingskonvention verbietet es Menschen zurückzuweisen, wenn ihnen im Herkunftsland Verfolgung aufgrund der Rasse, der Staatsangehörigkeit, der politischen Überzeugung, der Religion oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe droht. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verbietet nach der Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs (EGMR) die Zurückweisung, wenn Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Ob eine solche Bedrohung vorliegt, muss stets in einem individuellen Verfahren geprüft werden – bevor die Person zurückgewiesen wird. Einfach „Grenze zu, wir sind voll“ geht also nicht. Die Obergrenze verstößt gegen Rechtsgrundlagen auf verschiedenen Ebenen.
Auch im EU-Recht gibt es verbindliche Normen, die festlegen, wann Menschen Anspruch auf Schutz haben. Natürlich kann es sein, dass für die Prüfung des Asylantrags nach den Regeln des sog. Dublin-Systems ein anderer EU-Mitgliedstaat zuständig ist. Aber auch dann müssen die deutschen Behörden zunächst klären, welcher das ist und ob dieser Staat den Schutz auch tatsächlich gewähren kann, bevor sie eine Person dorthin zurückschieben.
All dies sind individuelle Schutzansprüche, die unabhängig von der Anzahl der ankommenden Flüchtlinge sind und die sich auch nicht unter Verweis auf eine besonders außergewöhnliche Ausnahmesituation umgehen lassen. Dass es im EU-Flüchtlingsrecht kein Recht des Ausnahmezustands gibt, hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) gerade erst festgestellt.
Anders als z.B. der Zuzug von Fachkräften lässt sich Flucht gerade nicht so einfach planen und steuern – aus gerade diesem Grund gibt es diese individuellen Schutzansprüche. Mit einer strikten Obergrenze würde Deutschland also gegen nationale, europäische und internationale Verpflichtungen verstoßen. Früher oder später würden das Bundesverfassungsgericht, der Europäische Menschenrechtsgerichtshof oder der Europäische Gerichtshof eine solche Obergrenze für rechtswidrig erklären.Die Prüfung des Flüchtlingsstatus muss stets individuellen Schutzansprüchen standhalten.
Das weiß natürlich auch die CSU. So ist es wenig verwunderlich, dass der Kompromiss von CDU und CSU vom vergangenen Wochenende nur ein Formelkompromiss ist. Geeinigt hat man sich auf die magische Zahl von 200.000 Flüchtlingen, die Deutschland maximal pro Jahr aufnehmen will – abzüglich derer, die abgeschoben werden oder freiwillig zurückkehren.
Allerdings soll es dabei bleiben, dass das individuelle Recht auf Asyl nicht angetastet werden soll. Dies verwundert insofern nicht, als CDU und CSU andernfalls soeben einen offenen Bruch mit dem Völker- und Europarecht beschlossen hätten. Bleiben aber die individuellen Schutzansprüche bestehen, kann die Zahl 200.000 nicht mehr sein als ein Richtwert.
Die Obergrenze von CDU/CSU ist nur ein Richtwert. Alles andere würde gegen geltendes Recht verstoßen.
So überrascht es denn auch nicht, dass die eigentlich migrationssteuernden Maßnahmen des Kompromisses anderswo liegen. Zur tatsächlichen Reduzierung der Flüchtlingszahlen sollen zum Beispiel nach dem Vorbild des EU-Türkei-Deals Vereinbarungen mit nordafrikanischen Staaten über die Rücknahme von Schutzsuchenden abgeschlossen werden, die bei ihnen durchgereist sind. Außerdem wollen CDU und CSU noch mehr Staaten zu sicheren Herkunftsstaaten erklären, um Schutzsuchende von dort besonders leicht und schnell abschieben zu können. Dies soll z.B. Marokko, Tunesien und Algerien umfassen – trotz massiver menschenrechtlicher Bedenken. Das Problem wird also schlicht ausgelagert, damit es außer Sichtweite bleibt. Eine überzeugende Lösung ist dies angesichts von 65 Millionen Flüchtlingen weltweit aber nicht.
Umgekehrt verfolgt die Bundesregierung aber jene Maßnahmen, die tatsächlich geeignet sind, Schleppertum effektiv zu bekämpfen, nur halbherzig. Die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Ausland (sog. Resettlement) soll nämlich nur so lange erfolgen, wie die Obergrenze noch nicht erreicht ist. Besser wäre es dagegen, wenn die künftige Bundesregierung über einen Ausbau legaler Zugangswege und neue, kooperative Formen des internationalen Flüchtlingsschutzes nachdenken würde.