Erwiderung auf Walid Nakschbandi : Die Mär vom unterdrückten Islam

Der Medienmanager Walid Nakschbandi hat sich am 21. Juli 2019 im Tagesspiegel mit einem engagierten Appell an muslimische Deutsche zu Wort gemeldet: Angst vor dem Islam zu haben, schreibt er, entspreche dem deutschen Zeitgeist und führe zu Hass oder Überheblichkeit. Es sei Zeit, sich endlich zu wehren. Ihm antwortet hier Seyran Ateş.
Mit den Zeilen von Walid Nakschbandi kann ich wenig bis gar nichts anfangen. Diese Wutrede trägt höchstens dazu bei, dass sich Muslime als Gruppe weiter von anderen Religionsgruppen entfernen und hilft keinen Deut bei der Integration von Migrantinnen und Flüchtlingen. Genau wie es die konservativen Islamverbände, die Muslimbruderschaft oder Milli Görüs tun, wird auch in diesem Text eine „Wir gegen sie“-Mentalität geschürt, die unsere Gesellschaft eher zu spalten vermag, als sie zu einen. Was der Autor, der an manchen Stellen richtige Fragen stellt, schuldig bleibt, ist eine befriedigende Antwort. Er appelliert an das Bauchgefühl der Muslime, statt an ihren Verstand. Im Übrigen macht er damit am Ende dasselbe, was er an „den Rechten und Nazis“ kritisiert. Eine „Wir gegen sie“-Mentalität spaltet die Gesellschaft
Ich bin selbst Muslimin und selbst Migrantin, die erst im Kindesalter nach Deutschland gekommen ist. Natürlich ist es für manche Muslime in Deutschland nicht einfach, sich zwischen Religionen, Kulturen und Nationalitäten zu orientieren und zurechtzufinden, ich weiß das. Nakschbandi aber wirft umgekehrt den „Deutschen“ pauschal vor, in einer Art Schockstarre gegenüber dem Islam oder Muslimen zu verfallen - inklusive der Politik. Das greift zu kurz. Die Gefahren durch die identitären Kräfte auf Seiten der Muslime und Migranten unterschlägt er vollkommen. Die Gefahren durch identitäre Kräfte auf Seiten der Muslime werden unterschlagen
Es braucht niemanden zu wundern, wenn es seitens der Politik Skepsis gegenüber muslimischen Verbänden und dem Dialog mit ihnen gibt. Diese haben über Jahrzehnte bewiesen, dass sie von fremden Ländern oder ausländischen Interessen gesteuert sind und einen echten Dialog ablehnen. Als der türkische Präsident Erdogan sich vor tausenden Fans vor der von ihm finanzierten Kölner Moschee inszenierte, verstand ich die Irritation der Politik und mancher meiner deutschen Freunde nicht. Denn bereits zu Beginn des Moscheebaus hatten Diyanet, die türkische Einrichtung zur Verwaltung religiöser Angelegenheiten und Erdogan klare Signale gegeben, dass es keine offene Moschee sein wird. Die Erdogan vor und in der Moschee zujubelnde Masse hat einmal mehr zum Ausdruck gebracht, dass sie keinen Bezug zu Deutschland haben. Sie feierten sich als Türken und Muslime. Sogar die Straßenabsperrung übernahmen plötzlich türkische Bodyguards, deutsche Polizisten und deren Anweisungen ignorierten sie. Muslimische Verbände werden von ausländischen Interessen gesteuert und lehnen einen echten Dialog ab
Falls die Verbände nicht an der Nabelschnur ausländischer Geldgeber hängen, dann hängen Sie häufig an einem Religions- und Moralverständnis, das in Deutschland im Jahr 2019 nichts verloren hat. Wer den Grundkonsens unserer demokratischen Verfassung, inklusive Minderheiten- und Frauenrechte nicht oder nur widerwillig akzeptiert, der kann auch kein vollwertiger Gesprächspartner sein.
Es ist mir auch zu billig, jegliche Islamkritik ins rechte Eck zu stellen. Religionskritik war schon immer Teil einer Religion. So war und ist es auch im Islam. Natürlich kläffen heute Populisten laut und das ist abzulehnen. Aber es gibt Fakten an denen kommt man dennoch nicht vorbei. Die Krise der politischen Mitte ist mitunter ein Resultat der Ignoranz gegenüber Fakten, die Menschen Unbehagen bereiten.Muslimischen Verbänden fehlt ein modernes Religions- und Moralverständnis
Ich betreibe eine liberale Moschee in Berlin. Und von wem bekomme ich Morddrohungen, Häme und Hetze? Zu 98 Prozent von Muslimen, die mich als Nestbeschmutzerin hinstellen. Und linksgerichtete Postkolonialisten betrachten mich als Provokation für arme konservative Muslime. Ja, ich als Muslimin fürchte mich mehrheitlich vor Muslimen. Damit rede ich weder die rechte Gefahr klein, noch verharmlose ich widerliche, rassistische Anschläge.
Wenn Nakschbandi sagt, dass die Assoziation mit dem Islam in den letzten Jahren häufig mit Terror, Gewalt verbunden war, dann antworte ich: Ja, leider ist das so. Aber es sind in den letzten Jahren hunderte Menschen in Europas Metropolen durch diesen Terror im Namen Allahs ums Leben gekommen. Wer objektiv und differenziert schreiben will, darf nicht verallgemeinernd nur die Rassisten auf der Seite der Deutschen betrachten, sondern muss ehrlich genug sein und beschreiben, wie rassistisch und deutschenfeindlich manche Muslime und Migranten sind - obwohl sie in freiwillig in Deutschland leben.Manche Muslime sind rassistisch und deutschenfeindlich
Nakschbandi schreibt, die Popularität des Namens Mohammeds würde in Deutschland hysterisch als Beleg für die Islamisierung gesehen. Wenn Kinder schon früh in ein Weltbild gepresst werden, das später in einem offenen Konflikt mit der Gesellschaft ausarten muss, dann werden die Namen der Kinder zum Symbol. Mädchen im Volksschulalter mit Kopftuch heißen leider selten Emma. Und Jungs, die während des Ramadan vor Hunger und Durst umfallen, heißen auch selten Jens. Es geht nicht um Namen, sondern um das soziale Konstrukt, das Eltern um ihre Kinder herum bauen, und das besorgte Lehrkräfte wie ich in ganz Deutschland wiedererkennen.
Wie verschafft man sich Respekt?, fragt Nakschbandi. So wie auf dem Schulhof, wie er suggeriert? Durch Machogehabe und Einschüchterung etwa? Nein. Ich glaube, dass nur Weltoffenheit, gewinnende Argumente und die Akzeptanz der gemeinsamen humanistischen Grundwerte wechselseitigen Respekt einbringen werden. Auf Augenhöhe begegnen, wie es der Autor fordert, heißt auch dem Anderen ebenbürtig sein. Der wichtigste Baustein dafür wäre Bildung, insbesondere religiöse Bildung, die kritischen, reflexiven Diskurs erlaubt. Es gibt leider zu wenige Hochschulen, die einen modernen, progressiven Islam lehren und vermitteln. Was es aber häufig gibt, sind Einrichtungen wie das europäische Zentrum für Humanwissenschaften, das die Muslimbrüder in Frankfurt betreiben. Der Dekan des Zentrums, Khaled Hanafy, teilt ausschließlich auf Arabisch seine Lehre mit Muslimen. Er ist auch einer der Vertreter des so genannten Fatwarates, der Muslimen in Europa Orientierung geben soll. Leider sind die Ansichten dieses Rates eher eine Bedrohung für Muslime, denn eine Hilfestellung im Alltag.Der Schlüssel ist eine religiöse Bildung, die kritischen, reflexiven Diskurs erlaubt
Ich weigere mich entschieden in den unsäglichen, Jahrzehnte andauernden Chor über die „armen und unterdrückten Muslime“ und „die deutschen Täter“ einzustimmen. Jede und jeder kann sein Leben in die Hand nehmen und Deutschland bietet uns allen die besten Voraussetzungen dafür. Niemand sagt, dass es leicht ist, möglich ist es aber allemal. Das beweist auch die berufliche Karriere von Walid Nakschbandi. Der Schlüssel zu Integration ist die Bildung - inklusive Demokratie- und Wertevermittlung. Hier gibt es viel zu tun.