Die Syrien-Illusionen des Westens
Er ist ganz offensichtlich ein Meister der 180-Grad-Wende: Nach dem ersten Giftgasangriff durch die syrische Regierung im August 2013 hatte Donald Trump seinen Vorgänger Barack Obama per Twitter gewarnt: „Attackieren Sie nicht Syrien, reparieren Sie die USA.“ Noch vor zehn Tagen sinnierte US-Außenminister Rex Tillerson, ob man nicht vorerst mit Syriens Präsident Baschar al-Assad leben könnte.
Nach dem Giftgasangriff in Khan Scheikhoun in der syrischen Provinz Idlib, der mehr als achtzig Menschenleben gefordert hat und allen Indizien zufolge nur von der syrischen Armee zu verantworten sein kann, befiehlt der US-Präsident einen begrenzten Militärschlag. Die Option „Friedenslösung mit Assad“ ist damit vom Tisch. Als Nebeneffekt darf der Tomahawk-Einsatz auch als Zeichen an Barack Obama gewertet werden: Hier ist ein Präsident, der handelt (und den die Tweets von gestern herzlich wenig interessieren).
Kluge Diplomatie zielt nun darauf, Assad Putins Unterstützung zu entziehen
Nun kann man lange darüber nachsinnen, ob es klug ist, rote Linien zu ziehen, wenn es an der nötigen Konsequenz fehlt. Viel entscheidender aber ist die Frage welche Mittel jenseits eines begrenzten Militärschlags zur Verfügung stehen. Das sind erschütternd wenige angesichts einer humanitären Katastrophe solchen Ausmaßes. Und es sind Einwirkungen über Umwege.
Nach der Giftgasattacke von 2013 gab sich Moskau als neutraler Beobachter, der grundsätzlich den Einsatz von Chemiewaffen verhindern wolle. Jetzt stellte sich Putin mit der fadenscheinigen Propaganda-Version, es sei bei einem Luftschlag der syrischen Armee ein „Lagerhaus der Terroristen“ getroffen worden, in dem sich auch toxische Substanzen befanden“ eindeutig hinter Assad. Russland steht mehr denn je in der Pflicht, Giftgasvorräte zu beseitigen. Dazu kommt: Die Frage des amerikanischen Außenministers, ob Russland vom Giftgaseinsatz seines syrischen Büttels nichts bemerkt hat oder nichts bemerken wollte, ist durchaus berechtigt. Assad kann zur Belastung für Moskau werden, kluge Diplomatie würde jetzt darauf abzielen, Assad die Unterstützung Putins zu entziehen.
Russland mag Assad fallen lassen - der Iran nicht
Die Möglichkeit aber, selbst aktiv auf ein Ende des Syrienkriegs – jenseits von Sanktionen gegen Syrien – einzuwirken, haben Europa und USA verpasst. Es sind russische Luftverbände und vor allem iranische Bodentruppen und deren verbündete Milizen, die Tatsachen schaffen und eine Nachkriegsordnung ganz wesentlich bestimmen wollen. Moskau mag das Problem Assad vielleicht überdenken wollen. Der Iran wird das keinesfalls tun. Auch, wenn Donald Trump jetzt weitere Konsequenzen fordert: Bislang ist er wahrlich nicht als Interventionist aufgefallen. Bodentruppen wird er nicht schicken. Die Errichtung von Schutzzonen für Zivilisten wird nur in Absprache mit Russland gehen. Aber zu glauben, dass die USA und Russland den Krieg schon irgendwie beenden können, wenn sie sich nur einigen, ist illusionär. Dafür sind zu viele aktiv an dieser Katastrophe beteiligt. Sie alle können sabotieren, jederzeit.
So bleibt für den Augenblick nur ehr humanitäre Hilfe für die Nachbarländer bereit zu stellen, die die größte Last der Flüchtlingswellen tragen. Mehr Bemühungen, alle Beteiligten in Verhandlungen einzubeziehen, auch wenn weder die Europäer noch die Amerikaner starke Druckmittel einbringen können – außer enormer Geduld und noch größerer Frustrationstoleranz.
Ein friedliches Syrien kann nur eines ohne Assad sein
Bleiben Kriegsverbrechen wie der Einsatz von Giftgas wieder einmal ungesühnt? Derzeit ist Assad nicht zu belangen, schlicht, weil er nicht zu fassen ist. Es sei aber daran erinnert, dass der weitere Giftgasangriff zwar eine besonders verabscheuungswürdige Attacke eines Regimes auf seine eigene Zivilbevölkerung ist, aber gleichzeitig Teil langjähriger, systematisch begangener Kriegsverbrechen. Die Verantwortung Assads und seines Regimes für Folter und für die hemmungslose Bombardierung von Krankenhäusern ist belegbar. Es ist erschütternd, darüber nachdenken zu müssen, wie diese Verbrechen eines Tages geahndet werden können, weil die Mittel nicht zur Verfügung stehen, diese Verbrechen jetzt zu verhindern. Und doch ist dies eine der wesentlichen Chancen auf ein einigermaßen stabiles Nachkriegs-Syrien. Es kann nur eines ohne Assad sein. Weil niemand gezwungen sein darf, unter einem Massenmörder zu leben. Und weil Baschar al-Assad eines Tages hoffentlich nicht mehr in seiner Damaszener Residenz sitzt. Sondern vor dem Kriegsverbrechertribunal.