Schuldig durch Verdacht
Ich kenne Dieter Wedel nicht persönlich, habe nie mit ihm gesprochen oder sonst mit ihm zu tun gehabt. Mir war sein Wirken als Regisseur bekannt und das war es auch schon. Im Fernsehen tauchte er schon geraume Zeit nicht mehr auf. Bei den Bad Hersfelder Festspielen war er zuletzt als Regisseur und Intendant, inszenierte dort 2016 "Hexenjagd" und warf das Handtuch vor ein paar Wochen, nachdem er von einigen Schauspielerinnen beschuldigt wurde, sie in unterschiedlicher Weise sexuell missbraucht zu haben oder versucht zu haben, sie zu vergewaltigen.
Im Januar legte das Zeitmagazin ein Dossier vor, in dem zahlreiche Beschuldigungen gegen Wedel erhoben wurden, die einen Zeitraum von 1975 bis in die 90er Jahre betreffen. Wedel bestritt sämtliche Vorwürfe. In einem – möglicherweise noch nicht verjährten – Fall ermittelt die Staatsanwaltschaft. Der Bundesrichter a.D. Thomas Fischer kritisierte die Verfahrensweise des "Zeitmagazins" mit wie immer deutlichen Worten und warf dem Magazin
Jagdeifer vor. Der Kernpunkt der Kritik lautet:
„Die Gefahr dieser maßlosen Form liegt in der Natur der (medialen) Sache und müsste deshalb intern besonders sorgfältig kontrolliert werden. Denn wenn ein ordentliches justizielles Verfahren nicht (mehr) möglich ist, bleiben nur diese Mittel übrig, wenn man zur Verurteilung gelangen will. Und mit jedem Schritt, den eine Redaktion in diese Richtung macht, wird die Umkehr schwieriger: Was für ein Desaster, wenn eine der Beschuldigungen widerlegt würde! Das ist das Problem, das entsteht, wenn man Polizist, Staatsanwalt, Richter, Systemerklärer und Rechtspolitiker sein will: Alles zugleich und in einer Redaktion.“
Die Verfahrensweise im Fall Wedel ist äußerst bedenklich
Und in der Tat ist es brandgefährlich, wenn die Presse in Bezug auf mögliche Straftaten in einer Weise berichtet, die nur noch scheinbar die Unschuldsvermutung und das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines vermeintlichen Straftäters achtet. Selbstverständlich darf und soll die Presse auf eigene Faust Skandale aufdecken und darüber auch berichten.
Die Verfahrensweise im Fall Wedel ist aber äußerst bedenklich und kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft selbst dann ins Leere laufen, wenn an der Sache etwas dran sein sollte.
Offenbar hat das "Zeitmagazin" mit bis zu 160 Zeugen gesprochen. Schön wäre, wenn es da Mitschnitte oder Wortprotokolle einschließlich der gestellten Fragen, sowie der Anbahnungsgespräche gäbe. Gerade bei Sexualdelikten ist es wichtig, dass die Erstvernehmung durch geschulte Vernehmer durchgeführt und am besten per Videoaufzeichnung dokumentiert wird. Zeugenaussagen haben nämlich die Eigenschaft, sich durch wiederholtes Befragen zu verändern. Das bedeutet nicht, dass die Zeuginnen lügen, es bedeutet aber, dass ihre Aussagenmit besonderer Vorsicht zu genießen sind, wenn die Aussagegenese sich nicht mehr so wirklich rekonstruieren lässt.
Möglicherweise leisten die Medien der #metoo-Bewegung gerade einen Bärendienst, indem sie durch die Veröffentlichung von Aussagen deren Beweiswert unbeabsichtigt zerschießen.
Ob Wedel Straftaten begangen hat, müssen die Ermittlungsbehörden klären.Und zwar nach den dafür vorgesehenen Spielregeln. Und die beinhalten eben keine Vorverurteilung. Es nützt aber die schönste und wichtigste Unschuldsvermutung nichts, wenn ein Mensch außerhalb eines solchen rechtsstaatlichen Verfahrens bereits medial verurteilt ist.
Mediale Verurteilung wie in den Fällen Kachelmann und Lohfink
Bedeutet das nun, dass die sogenannte Verdachtsberichterstattung in einem derartigen Fall unzulässig ist? Keineswegs. Jedenfalls nicht grundsätzlich. Allerdings sollte dabei wirklich deutlich gemacht werden, dass nur über einen Verdacht berichtet wird. Diese Grenze hat
das "Zeitmagazin" überschritten und der Rest der Medien macht munter mit, als hätte es die Fälle Kachelmann, Gina-Lisa Lohfink oder Andreas Türck nicht gegeben. Und, ob man es nun glauben will oder nicht, Wedel hat keine Chance, seine mediale Verurteilung wieder loszuwerden, selbst dann nicht, wenn ein ordentliches Gericht ihn von allem und jedem
freisprechen würde – so er denn überhaupt angeklagt wird.
Diese mediale Vernichtung eines Menschen, die durchaus auch mit eine physischen Vernichtung einher gehen kann, gilt es zu vermeiden. Ich habe erlebt, dass Mandanten, denen der Vorwurf einer Sexualstraftat gemacht wurde – und die ich jedenfalls schon mal für unschuldig hielt – Suizid begingen, weil über ihren Fall berichtet wurde. Auch ich habe erlebt,
dass es im zeitlichen Zusammenhang mit so einem Vorwurf über den lediglich eine Lokalzeitung ohne Namensnennung berichtete, zu einem Herzinfarkt kam.
Wie will man solche Medienberichte jemals zurückholen, wenn sich die ganzen Vorwürfe als heiße Luft entpuppen? Mit einem Vierzeiler im hinteren Teil einer Zeitung ist es da nicht getan. Durch die Berichterstattung fühlt sich jetzt jedermann berufen, Herrn Wedel nach Kräften zu beleidigen, ihn als Arschloch zu bezeichnen und Anekdoten vom Stapel zu lassen, die ihn als Drecksack dastehen lassen. Mag sein, dass hier auch noch Trittbrettfahrerinnen auflaufen und weitere Behauptungen aufstellen werden. Klar könnte Wedel versuchen, gegen eine ausufernde und unfaire Verdachtsberichterstattung vorzugehen. Damit sammelt er aber nur einzelne Artikel und Berichte ein. Seinen bereits jetzt ruinierten Ruf wird er nie mehr wiederbekommen. Da wünscht man sich ja direkt, dass er tatsächlich schuldig ist und nicht als Unschuldiger die Reality-Version einer Hexenjagd durchmachen muss.