Wir brauchen die Ehe nicht, um zu lieben!
Von Louisa Hattendorff, Sprecherin GRÜNE JUGEND Berlin.
Die Ehe wirkt heute wie ein Versprechen nach Sicherheit, Verlässlichkeit und Liebe in einer aus den Fugen geratenen Welt. Die bürgerliche Familie erscheint uns manchmal als die kleinste verbleibende ordnende Einheit in einer allzu komplexen Gesellschaft. Jegliche Veränderung dieses Konzeptes gilt Konservativen als Bedrohung der gesellschaftlichen Ordnung. Dabei hat sich die Ehe in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder an die sich wandelnde Realität angepasst: Von einer Heirat aufgrund von ökonomischen Zwängen, über die staatliche Institutionalisierung, hin zu der Liebesehe als bürgerliche Idealform. Erst vor kurzem hat eine weitere Reform das Konzept Ehe aufgerüttelt, nämlich die allzu überfällige Einführung der Ehe für alle.
Aber ist die Ehe nun besser, weil sie das Attribut „für alle“ trägt? Ausgeschlossen von den Eheprivilegien bleiben jene, die sich nicht in ein binäres Geschlechtersystem, das nur Mann und Frau kennt, einordnen wollen. Jene, die gleichberechtigte Beziehungen zu mehreren Menschen führen und jene, die nach wie vor die Ehe als überholtes Modell ablehnen.
Und das aus guten Gründen. Traditionell ist die Ehe in ihrem Kern als Ort patriarchaler Machtausübung angelegt. Durch die Trennung in eine private und eine öffentliche Sphäre werden machtungleiche Rollenzuschreibungen vorgenommen. Der Mann gilt als Repräsentant und „Brotverdiener“. Die Frau hingegen wird als hingebungsvolle Mutter und Hausfrau stilisiert. Zweifelsohne haben feministische Kämpfe die sexistischen Rollenklischees in den vergangenen Jahrzehnten entschärft. Doch die Regelung der Ehe in Verfassung und Gesetzen, ihre staatliche Institutionalisierung also, hat einige dieser Ungleichheiten gesetzlich manifestiert. So durften Frauen zum Beispiel noch bis in die 70er Jahre hinein nur einer Erwerbstätigkeit nachgehen, wenn dies mit Ehe und Familie vereinbar war. Offiziell ist dieses Gesetz Geschichte. In der Realität sind Frauen bei dem – man sollte meinen nicht allzu anmaßenden - Wunsch nach Familie auf der einen und wirtschaftlicher Unabhängigkeit auf der anderen Seite nach wie vor mit einer Doppelbelastung konfrontiert. Hinzu kommt, dass das staatlich finanzierte Ehegattensplitting auch heute noch große Lohnunterschiede zwischen Ehepartner*innen mit Steuererleichterungen belohnt und somit die finanzielle Abhängigkeit fördert.
Es drängt sich die Frage auf: Weshalb lassen wir einen derart diskriminierenden Eingriff des Staates auf unsere intimsten Lebensbereiche zu? Die Ehe ist eine staatliche Institution, doch suchen wir in ihr Intimität und Zuneigung. Wir leben in dem Glauben, in einem Vertragsverhältnis die Bestätigung wahrer Liebe zu finden. Beweis sind Oma und Opa, bei denen war das doch auch schon immer so, sowie die Vielzahl an Disney-Filmen, die die Hochzeit zwischen Prinz und Prinzessin zum Happy End haben. Aber brauchen wir wirklich die Ehe, um zu lieben und füreinander zu sorgen? Die Wahrheit ist, dass immer weniger Menschen entscheiden, einander zu heiraten, ein Drittel der Ehen in Deutschland vor dem Gericht enden und die durchschnittliche Ehe nur etwa 12 Jahre dauert – ganz schön kurz für „bis dass der Tod uns scheidet“. Wir können es nicht leugnen: Die Ehe hat ein Ablaufdatum.
Dennoch wird alternativen Beziehungsformen mit Unverständnis begegnet. Eine Frau mit wechselnden Sexualpartnern gilt als „Schlampe“, Ü30-Paare können die Frage „Wann heiratet ihr denn endlich?“ nicht mehr hören und Kinder, die außerhalb einer Liebesbeziehung aufwachsen, leiden angeblich unter dem „instabilen Umfeld“. Diese Vorurteile verkennen, dass Zuneigung und Intimität auch außerhalb der Ehe gefunden werden können. Ein einziges Konzept für Partnerschaft, nämlich die traditionelle Ehe, deckt die Vielfalt des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft nicht mehr ab. Das war so, bevor die Ehe für alle eingeführt wurde – und daran hat auch die Einführung der Ehe für alle nichts geändert.
In einer offenen Gesellschaft müssen wir Partnerschaft neu denken: An die Stelle der Ehe muss ein rechtlich absichernder Familienvertrag treten, der keinerlei Beziehungsmodell bevorzugt oder benachteiligt. Wir unterscheiden nicht zwischen Klein-, Regenbogen- oder Patchwork-Familie. Ebenso wenig ist Familie nur Blutsverwandtschaft. Familie ist da, wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen. Mithilfe des Familienvertrages können rechtliche Fragen vom Besuchsrecht in Krankenhäusern bis zur Adoption geklärt werden. Allen Beteiligten kommt ein aktives Gestaltungs- und Mitbestimmungsrecht zu. Das gilt für biologische wie für soziale Eltern und kann auch auf die Kinder ausgeweitet werden. Denn Partnerschaft ist im 21. Jahrhundert nicht mehr nur Mann und Frau. Sie umfasst Lebensentwürfe, die so vielfältig und bunt wie Geschlechtsidentitäten und sexuelle Orientierung der Menschen sind.
Zuletzt bleibt zu sagen: Man muss das Konzept Ehe nicht gut finden, um die Ehe für alle in ihrer symbolischen Bedeutung gut zu finden. Die Ehe für alle bedeutet ein bisschen mehr Gleichberechtigung in einer diskriminierenden Gesellschaft. Die Ehe bleibt aber auch mit dieser Aufwertung ein exklusives Modell. In die Ehe projizieren wir, was wir in anderen Beziehungen nicht sehen wollen. Wir aber kämpfen für eine gleichberechtigte Existenz aller Beziehungsformen. Dieser Kampf ist erst vorbei, wenn Menschen selbstbestimmt entscheiden können, wen sie lieben und wie sie leben. Das geht nur, wenn wir die Ehe abschaffen.