Antisemitismus und Israelkritik : Niemand will ein Antisemit sein

Die mediale Aufregung war groß, als im Dezember überwiegend arabische Demonstranten vor dem Brandenburger-Tor israelische Flaggen verbrannten und „Allahu akbar“ riefen. Anlass für die aggressiven Proteste war die Äußerung des amerikanischen Präsidenten Donald Trump, die US-Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen. Eine Mehrheit erkannte, dass es sich hierbei nicht mehr nur um Israelkritik, sondern um blanken Antisemitismus handelte. Wenig später kursierte ein Video durchs Internet, in dem ein offensichtlich Deutschstämmiger einen Betreiber eines israelischen Restaurants antisemitisch anging. Der Mann gab, vor Judenhass außer sich, derart nationalsozialistische Parolen von sich, dass auch hier kaum jemandem verborgen blieb, das ist Antisemitismus. Man war empört. Aber was ist mit dem Antisemitismus, der nicht derart offensichtlich daherkommt? Antisemitimus wurde geächtet, aber ohne zu erklären, was Antisemitismus genau ist
Den in Deutschland lebenden Menschen ist seit dem Zweiten Weltkrieg beigebracht worden, Krieg ist böse und Judenhass pfui. Es wurde immer wieder gebetsmühlenartig erklärt, was die Deutschen unter den Nazis Juden antaten, darf sich nie wieder wiederholen. Nie wieder! Das haben die meisten von uns verinnerlicht und das ist per se etwas sehr Positives, ein Fortschritt in der Bekämpfung des seit Jahrtausenden währenden Judenhasses. Was aber bei der Aufarbeitung versäumt wurde, beizubringen, was ist Antisemitismus eigentlich. Die meisten denken, Antisemitismus ist eine Spielart des Rassismus. Antisemitismus sei mit Hitler irgendwie vom Himmel auf die Deutschen gefallen und bestenfalls wissen die Menschen noch, dass ganz Europa damals latent antisemitisch war. Judenhass hat sich immer wieder geändert und den jeweils aktuellen Gegebenheiten angepasst
Antisemitismus hat über die Jahrtausende immer wieder seine Erscheinungsform gewandelt. Judenhass hat sich den jeweils aktuellen Gegebenheiten angepasst. Den rassistischen Judenhass gibt es erst mit dem Aufkommen der Rassentheorien im 19. Jahrhundert. Der Judenhass sprang also sozusagen auf das Pferd des Rassismus. Er bediente sich des Glaubens an unterschiedliche Rassen, der damals modisch wurde. Religion war etwas, das immer unwichtiger wurde und damit konnte man mit religiösen Begründungen für Judenhass die Massen nicht mehr bewegen. Das Rassendenken war passé, es brauchte eine neue Begründung für Judenhass - und die ist politisch
Heute haben wir alle dank der Aufarbeitung unseres dunkelsten Kapitels in der Geschichte begriffen, es gibt keine unterschiedlichen Rassen von Menschen. In der Konsequenz bedeutet dies für den Antisemitismus, dass angebliche Rassenunterschiede zwischen Juden und Nichtjuden kaum jemanden mehr von der Berechtigung des Judenhasses überzeugt. Es musste also eine neue Herleitung für Antisemitismus her und diese ist heute eine politische.
Bis 1945 waren viele Menschen davon überzeugt, Juden seien eine minderwertige Rasse. Sie waren sich ganz sicher, das sind keine Vorurteile oder Ressentiments gegen Juden. Man meinte zu wissen, die Abneigung gegen Juden hat rationale Wurzel, beruht auf Rassenfakten. So wie man heute glaubt zu wissen, Israel ist ein Unrechtsstaat.
Judenhass ist seit 1945 verpönt. Niemand bzw. kaum jemand möchte ein Antisemit sein. Der Hinweis, dass antisemitische Ressentiments transportiert werden, löst Empörung und auch Verletzung aus bei denen, die Adressat dieses Vorwurfs sind. Das ist grundsätzlich etwas Gutes, aber auch nichts ganz Neues. Nach Pogromen gegen Juden haben sich die Menschen oft geschämt. Heute allerdings gilt Judenhass per se als No-Go.Die Menschen wollen keine Antisemiten sein und sind sich deshalb sicher, keine antisemitischen Ressentiments zu pflegen
Auch wenn dies ein Meilenstein im Kampf gegen Antisemitismus ist, es hat auch wie jede Medaille seine Kehrseite. Die Menschen wollen keine Antisemiten sein und sind sich deshalb sicher, keine antisemitischen Ressentiments zu pflegen. Deshalb ist es sehr schwer bis unmöglich, darauf aufmerksam zu machen, Leute, das ist keine Meinung mehr, das ist Antisemitismus. Der Überbringer der schlechten Botschaft, dass nicht mehr nur eine Ansicht geäußert wurde, sondern antisemitische Stereotype bedient wurden, ist oftmals dann der Böse. Weil es beleidigend ist, Antisemitismus vorgeworfen zu bekommen.Antisemitismus ist nicht mit dem Nationalsozialismus verschwunden.
Antisemitismus gab es über Jahrtausende. Wenn man sich das klarmacht, drängt sich auf, dass dieser nicht plötzlich mit den Nazis verschwunden sein kann. Wenn man sich dann bewusstmacht, dass Antisemitismus immer wieder seine Erscheinungsformen geändert hat, stellt sich die Frage, welches Ventil sucht sich Judenhass heute?Früher waren Juden Störenfriede, heute ist Israel der Störenfried
Heute ist es der politische israelbezogene Antisemitismus. Kritik an einem Staat kann doch nicht antisemitisch sein? Doch kann sie und ist sie ziemlich oft auch, zumindest antisemitisch angehaucht. Israel der Jude unter den Staaten. Viele Menschen haben ein völlig verzerrtes Bild von Israel und sind sich dabei aber sicher, ihr Blick beruht auf Fakten. Die Menschen bis 1945 waren aus rassistischen Gründen davon überzeugt, Juden sind Störenfriede, schaden den anderen Menschen und manipulieren. Heute glauben die Menschen, Israel ist ein Störenfried, Israel ist eine Gefahr für andere Staaten, und man darf nichts gegen Israel sagen. Im Mittelalter waren es die Juden, die Brunnen vergiften. Man war sich ganz sicher. Wieso sonst starben prozentual weniger Juden an der Pest? Die einfache Erklärung, dass Juden strengere Hygienevorschriften hatten, wollte man nicht sehen. Heute nehmen die Juden den Palästinensern das Wasser weg. Auch jetzt möchten viele die Realität nicht sehen und dieses Gerücht glauben.Judenhass ist grell und wird verurteilt, Antisemitismus tritt weniger deutlich zu Tage
Der Judenhass auf den Demonstrationen neulich und in dem Video vor dem Restaurant wird einhellig verurteilt. Bei Antisemitismus, der weniger deutlicher zu Tage tritt, gibt es keine Welle der Empörung. Zu viele teilen die Ressentiments oder sehen sie nicht. Lehrer, die es als normale Rangelei abtun, wenn jüdische Kinder von arabischen Mitschülern gemobbt werden. Man müsse doch irgendwie wegen des Nahostkonfliktes Verständnis aufbringen. Journalisten, die einen Kollegen gegen den Vorwurf des Antisemitismus verteidigten, als dieser schrieb, Israel sei die größte Gefahr für den Weltfrieden. Medien, die immer wieder titeln, Israel hat Gaza angegriffen, wenn Israel dort Raketenbasen zerstört, von denen aus Israel beschossen wird. Politiker, die beschließen, dass Produkte aus dem Westjordanland gekennzeichnet werden müssen, ohne Vergleichbares bei anderen Staaten zu fordern, die umstrittene Gebiete besetzen. Politiker, die behaupten können, dass es nur eine Meinung sei, Israel als Apartheidstaat zu bezeichnen. Die Liste ist endlos und jede Gruppierung unserer Gesellschaft davon infiziert. Und über die verzerrte Wahrnehmung Israels hinaus, dass es bei der „Israelkritik“ eben um Juden und nicht um Israel geht, zeigt sich allein daran, dass deutsche Juden sich für die Politik Israel immer und immer wieder rechtfertigen müssen.Wir müssen uns alle mit unseren Ressentiments auseinandersetzen - auch wenn es weh tut
Antisemitische Ressentiments haben wir alle in unserem kulturellen Gepäck. Es gilt endlich damit anzufangen, diese ehrlich aufzuarbeiten, auch wenn es schmerzhaft ist. Und zwar in allen gesellschaftlichen Gruppierungen. Sich selbst auf die Schulter zu klopfen, weil man bei krassen antisemitischen Vorfällen Stellung bezog, ist kein Kosher-Siegel, dass man selbst kein – latenter - Antisemit ist. Auch wenn man das gerne wäre und davon überzeugt ist, kein Antisemit zu sein.