Racial Profiling in der Kölner Silvesternacht : Gerade bei der Polizei heiligt der Zweck nicht alle Mittel
Vor nicht allzu langer Zeit (Ende der 1990er) war es mir als Türkeistämmigem nicht vergönnt in den angesagten Clubs Berlins zu verkehren. Spätestens an der Tür hieß es entweder "Ausländerquote für heute Abend ist voll" oder "'Ihr könnt hier nicht feiern". Ich frage mich heute noch was das "Ihr" bedeutet, wenn man alleine vor dem Türsteher steht.
Etwas über 15 Jahre später, gleiches Spiel: Die neuen unliebsamen Gäste - man könnte auch sagen "die neuen Türken" - sind die sogenannten “Nafris” (Polizeisprech für Nordafrikaner). Die Informationen verdichten sich, dass alleine diese Fremdzuschreibung ausreichte, um in der Silvesternacht kontrolliert zu werden. Eine Tendenz, die ganz unabhängig von Köln und Silvester, trauriger Bestandteil der Sozialisationserfahrung vieler nicht weißer, junger Männer in Deutschland ist. Gelernte Rassismen spielen bei der Polizeiarbeit mit
Profile von potentiellen Tätern zu erstellen gehört zur Polizei- und Ermittlungsarbeit. "Profiling" hingegen - speziell "Racial Profiling", also die polizeiliche Beurteilung nach äußerlichen Merkmalen - verstößt gegen unsere Rechtsgrundsätze und untermauert das viel wichtigere Gefühl der Zugehörigkeit. Es stellt sich nur die Frage, wie diese von statten geht.
Erstes Problem: Profiling - und speziell das Racial Profiling - ist eine im höchsten Maße subjektive polizeiliche Handhabe. Wenn ich Polizist wäre, würde ich wahrscheinlich durch mein Kontextwissen aus bestimmten sozialen Räumen (aufgewachsen im Pallasseum der 1990er-Jahre - ein sogenanntes "Ausländer-Ghetto") andere Entscheidungen treffen, als es womöglich der Polizeibeamte Otto N. aus Köpenick tun würde. Hier spielen nicht nur gelernte Rassismen und Fremdzuschreibungen, also Vorurteile, eine entscheidende und wichtige Rolle, sondern auch die entsprechende Interpretationshoheit. So stellt sich die Frage, was beispielsweise ein "aggressives/unangenehmes Auftreten von bestimmten Gruppen" bedeutet? Wenn es schon reicht eine Gruppe von jungen, dunkelhäutigen und bärtigen Single-Männern zu sein, um das Attribut "unangenehm" bzw. "aggressiv" zugeschrieben zu bekommen, dann ist das mehr als fragwürdig und stellt die entsprechenden Bewertungs- und Interpretationsmuster der/des handelnden Polizist*in in Frage.
Das zweites Problem schließt hier an: Racial Profiling ist kein differenzierendes Werkzeug. Im Fall der Profiling-Prozedur der letzten Silvesternacht in Köln, ist dieses Werkzeug ein reines Segregationsmittel. Hier wurden nordafrikanisch, vielleicht sogar muslimisch markierte Single-Männer kategorisch als Gefährder eingestuft. Das ist in einem demokratischen Gemeinwesen inakzeptabel und der kritische Diskurs dazu ist richtig und wichtig.Die Diskriminierung durch staatliche Akteure führt zu mehr gesellschaftlichem Rassismus
Die wichtigste Frage jedoch ist, welches Zeichen an die Gesellschaft gesendet wird. Diese staatliche Handhabe der Segregation bestärkt letztendlich Rassismen und Diskriminierungsmechanismen in anderen Lebensbereichen, wie beispielsweise auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt. Wenn sogar die Polizei, also ein staatlicher Akteur, von pauschalisierten Negativzuschreibungen hinsichtlich bestimmter Bevölkerungsgruppen ausgehen darf, warum dann nicht auch ein Arbeitgeber oder Vermieter - ganz zu schweigen vom Türsteher?
"Die Bundespolizei war überrascht, dass trotz klarer Aussagen in den Medien wieder große Gruppen Nordafrikaner in der Silvesternacht nach Köln kamen“, vermeldete das ZDF. Diese Meldung sagt ungemein viel zum Stand des Diskurses und dessen Entwicklung seit dem Silvesterabend 2015/16 aus. Wenn die Bundespolizei meint durch die mediale Berichterstattung inoffizielle Sperrgebiete für bestimmte Herkunftsgruppen statuieren zu können, dann muss man sich ernsthaft Sorgen um das Demokratieverständnis dieser staatlichen Institution machen.Gerade bei der Polizei heiligt der Zweck nicht alle Mittel
Ich denke, dass Racial Profiling von staatlicher Seite viel mehr anrichtet, als einen zeitlich und räumlich begrenzten Schaden. Racial Profiling verändert die Sicht der Mehrheitsgesellschaft auf die betroffene Gruppe und begünstigt dadurch die latente und schleichende Verwehrung eigentlich selbstverständlicher Rechte, wie beispielsweise das Erscheinen und Feiern an Silvester auf einem öffentlichen und prominenten Platz.
Der deutsche Staat und die deutsche Mehrheitsgesellschaft sollte mit solchen Segregationsmechanismen, auch hinsichtlich ihrer historischen Erfahrungen und Verantwortung, viel sensibler umgehen. Stattdessen wird man schnell zum Linksideologen und "Gutmenschen" abgestempelt, wenn man darauf hinweist, dass gerade bei der Polizeiarbeit eben nicht der Zweck alle Mittel heiligt. Dem Staat und seinen Institutionen kommt eine besondere Verantwortung zu. Der Staat muss seinen Bürger*innen eine Orientierung bieten. Ein moralisch-ethischer Kompass, der historisch gewachsen ist, ist das Grundgesetz. Eigentlich ganz einfach.