Nach dem Anschlag von New York : "Wir brauchen einen gelasseneren Umgang mit Terror"

Frau Domisse, die Terroranschläge in diesem Jahr wurden in vielen Fällen mit Fahrzeugen ausgeführt, oft radikalisierten sich die Täter selbst. Wie würden Sie die neue Qualität terroristischer Anschläge charakterisieren?
Bei den Terroranschlägen in Nizza, Berlin, Stockholm, London und Barcelona lassen sich zwei Trends beobachten: Erstens sind die großangelegten und gut koordinierten Terroranschläge wie in Paris im November 2015 durch gezielte kleinere Attacken von vermeintlichen Einzeltätern abgelöst worden. Seit 2016 ruft der Islamische Staat (IS) zu solchen Terrorakten im Westen auf und liefert genaue Anweisungen im Internet. Die Terroristen werden häufig als „einsame Wölfe“ bezeichnet. Damit sind Personen gemeint, die nicht direkt an eine terroristische Gruppe angebunden sind, sondern ihre Anschläge weitgehend selbstständig planen und durchführen. Der Begriff ist jedoch irreführend, denn er verkennt, dass in den allermeisten Fällen die Angreifer Kontakt zu größeren Terrorzellen oder –netzwerken halten, zum Beispiel über verschlüsselte Kommunikationsdienste im Internet.
Zweitens sind Planung und Durchführung von Terroranschlägen immer weniger aufwendig. Das sieht man sowohl an der Auswahl der Ziele als auch der Mittel. Sogenannte „weiche“ Ziele wie Fußgängerzonen, Flaniermeilen oder Einkaufszentren geraten ins Visier der Angreifer, weil sie weniger stark bewacht werden als Flughäfen oder Bahnhöfe. Zudem greifen Täter weniger auf schwere Waffen wie selbst gebaute Sprengsätze zurück, sondern auf leicht zu beschaffene und kostengünstige Mittel wie Liefer- und Lastwagen.
Diese Methode hat sich als äußerst effektiv erwiesen: Obwohl die Opferzahl meist geringer bleibt als bei Sprengstoffanschlägen, entsteht durch die vermeintlich willkürliche Auswahl der Ziele und den Einsatz von weniger auffälligen Mitteln ein Gefühl der Unberechenbarkeit und Angst im Alltag. Die politischen Effekte – Islamophobie und Rechtspopulismus – zeigen sich in vielen westeuropäischen Ländern. Islamophobie und Rechtspopulismus sind ein politischer Effekt der Angst im Alltag vor Terroranschlägen
Ist die neue Form des Terrors ein Zeichen der Schwächung des internationalen Dschihadismus?
Nein, im Gegenteil. Es stimmt zwar, dass mit der Niederlage des IS in Rakka Mitte Oktober die Schreckensherrschaft der Terrorgruppe im Irak und in Syrien quasi beendet ist. Das bedeutet aber nicht das Ende des IS. In der Vergangenheit hat sich die Gruppe als sehr anpassungsfähig erwiesen. Um nicht in der Bedeutungslosigkeit zu versinken, steigt nun sogar der Druck, mediale Aufmerksamkeit zu erregen. Dies erreicht man am besten durch Terroranschläge im Westen. Wir müssen auch in Zukunft mit dschihadistisch geprägten Anschlägen rechnen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir einen gelasseneren Umgang mit Terror entwickeln und unsere Gesellschaft widerstandsfähiger wird. So zeigte etwa die Reaktion der Berliner auf den Anschlag am Breitscheidplatz im vergangenen Dezember, dass Anteilnahme und Betroffenheit möglich sind, ohne in Angst und Panik zu verfallen. Dazu gehört es auch, dass die politische Führung zugibt, dass es keine absolute Sicherheit geben kann. Wir brauchen einen gelasseneren Umgang mit Terrorismus und mehr Widerstandsfähigkeit
Wie reagieren internationale dschihadistische Gruppen auf die Schwächung des IS?
Das wird davon abhängen, inwiefern die reale Niederlage des IS im Irak und in Syrien tatsächlich auch mit seiner langfristigen Schwächung als „Sehnsuchtsort“ einhergeht. Es ist durchaus möglich, dass andere Gruppierungen das entstehende Vakuum füllen, wenn die Idee attraktiv bleibt. Der IS selbst ist schließlich als Nachfolgeorganisation von Al-Qaida im Irak entstanden.
Wie könnten diese Anschläge verhindert werden? Müssen die Sicherheitsbehörden weiter gestärkt werden?
Terroranschläge wie jene gerade beschriebenen sind extrem schwer zu verhindern. Das liegt zum einen daran, dass sich die Täter häufig autonom und im Internet radikalisieren und zum anderen daran, dass frei erhältliche Gegenstände als Waffen eingesetzt werden.
Betonbarrieren an Bushaltestellen und Weihnachtsmärkten werden solche Anschläge nicht verhindern können. Auch der reflexartige Ruf nach mehr Überwachungskameras oder die Nutzung der Maut-Daten, um Bewegungsprofile auf Autobahnen zu erstellen, sind nicht nur aus Datenschutzgründen fraglich, sondern lösen das Problem nicht. Betonbarrieren und Überwachungskameras lösen das Problem nicht
Vielmehr wird es darum gehen, die etwa 700 als sogenannte „Gefährder“ eingestuften Personen genau zu beobachten und Hinweise und Warnungen aus dem persönlichen Umfeld der potenziellen Islamisten ernst zu nehmen. Radikalisierungswege sind sehr unterschiedlich, kein Täterprofil gleicht dem anderen. Es wird darauf ankommen, dass Eltern und andere Familienangehörige, Freunde, Nachbarn, Kollegen oder Lehrer eine Radikalisierung frühzeitig erkennen und melden. In dieser Präventionsarbeit spielen lokale Netzwerke und Gemeinschaften eine große Rolle, online wie offline. Wir müssen noch mehr tun, um zu verstehen, wie und warum Menschen sich radikalisieren. Dies erfordert ein Umdenken in der Terrorismusbekämpfung. Sicherheitsbehörden und Geheimdienste alleine werden Anschläge nicht verhindern können.Es braucht ein Umdenken hin zu mehr Präventionsarbeit
Immer häufiger kommen Täter aus Usbekistan und zentralasiatischen Staaten. Gibt es eine neue regionale Brutstätte für islamistische Terroristen?
Es ist noch zu früh für Erklärungsversuche. Bislang sieht es so aus, dass der Täter von New York sich nach seiner Ankunft in den Vereinigten Staaten radikalisiert hat, nicht in Usbekistan selbst. Dennoch ist es auffällig, dass mehrere Attentäter der letzten Zeit aus Zentralasien stammen. Das ist nicht unbedingt ein neues Phänomen: Die Brüder, die den Sprengstoffanschlag auf den Marathon in Boston 2013 verübten, wuchsen in Kirgistan auf. Dass wir nun über Zentralasien als angeblich neues terroristisches Pulverfass reden, zeigt aber, dass die Region bislang ein blinder Fleck in der öffentlichen Debatte war. Der Fokus von Politik und Medien lag hauptsächlich auf dem Nahen und Mittleren Osten und auf Nordafrika. Das könnte sich nun ändern.