Ein falsches Signal : Muslime und Nichtmuslime sollten Zusammenhalt demonstrieren

Mit dem muslimischen Glauben gerechtfertigte Anschläge beherrschen unsere Nachrichten. Nach jedem größeren Anschlag in Europa wie kürzlich in London und Manchester oder Ende vergangenen Jahres in Berlin kommt die öffentliche Forderung auf, die Muslime müssten sich vom Terror distanzieren. Wenngleich derlei Aufrufe von Politikern, Intellektuellen und anderen Vertretern der Mehrheitsgesellschaft indirekt dem Islam als Religion versus den Muslimen generell eine Nähe zu jenen barbarischen Gewaltakten unterstellen, gelangen diese Aufrufe zuletzt auch von Muslimen selbst an die Öffentlichkeit.
Für jeden Muslim, der seine Religion als gemeinschaftsfördernd und dem Miteinander dienend erlebt hat, muss es schmerzhaft sein, zu erfahren, dass jene hemmungslose Gewalt mit dem Islam zu rechtfertigen gesucht wird. Sich deshalb in die Öffentlichkeit begeben und den Missbrauch der Religion zu brandmarken, mag somit nur berechtigt erscheinen. Dies jedoch mit dem moralisierenden Appell an die „Mainstream-Muslime“ zu verbinden, sie hätten zu lange dazu geschwiegen, verleiht dieser Suche nach Öffentlichkeit einen schalen Beigeschmack.
Der islamophobe Diskurs wird legitimiert
Nicht nur verkennt man die Tatsache, dass es fast nach jedem größeren islamistischen Anschlag in den letzten Jahren Proteste, Mahnwachen und Friedensgebete in zahlreichen Moscheen gegeben hat, vielmehr drängt sich der Eindruck auf, mit derlei nach außen getragenem Aktivismus sich der Mehrheitsgesellschaft als „bessere“ versus „liberalere“ Muslime andienen zu suchen. Am Ende steht nämlich gerade nicht das Bild einer muslimischen Gemeinschaft, die Extremisten in den eigenen Reihen die rote Karte zeigt, sondern die einer bestenfalls passiven, wenn nicht gewaltaffinen muslimischen Mehrheit, aus der einzelne „Lichtblicke“ herausragen. Darüber hinaus kann sich der islamophobe Diskurs, der dem Islam eine genuine Nähe zur Gewalt attestiert, geradezu bestätigt wähnen. Durch Forderungen nach einer Distanzierung der Muslime kann sich der islamophobe Diskurs bestätigt wähnen.
Muslimische Opfer werden zu Tätern abgestempelt
Mehr noch wird außer Acht gelassen, dass Muslime hierzulande mindestens in gleichem Maße Opfer wie Täter von Terrorismus sind – im Verhältnis zu ihrer Anzahl sogar weit häufiger. Sachbeschädigungen und Schmierereien an Moscheewänden, Beschimpfungen von Kopftuchträgerinnen auf offener Straße und gar Todeslisten von muslimischen Persönlichkeiten erregen lediglich weniger Aufmerksamkeit als ein Selbstmordanschlag mit Toten, sind für die Betroffenen jedoch ebenfalls schmerzhaft. Von derartigen Erfahrungen gezeichneten Muslimen ist ein öffentlicher Protest gegen „muslimische Täter“ besonders schwer zu erhalten, wenn sie selbst kaum Solidarität aus der Mehrheitsgesellschaft erfahren, da ein Gefühl der Resignation einsetzt.Muslimische Opfer von Terrorismus erfahren kaum Solidarität aus der Mehrheitsgesellschaft.
Dennoch war die Resonanz bei Solidaritätskundgebungen mit Opfern von Anschlägen unter den Muslimen in Deutschland stets überwältigend. Sogar mit den ermordeten Journalisten von Charlie Hebdo haben sich Moscheen und Imame landauf, landab solidarisiert. Obwohl einige dieser Journalisten durch Schmähzeichnungen des Propheten Muhammad ihre Religion in hohem Maße beleidigt hatten, sah man derartige Gewalt in keiner Weise islamisch gerechtfertigt an. Jenen Muslimen, die aus eigenem Antrieb immer wieder gegen Gewalt, die sich auf den Islam berief, Flagge zeigten, Passivität oder gar Sympathie mit den Tätern zu unterstellen, fördert geradezu eine muslimische Widerstandsmentalität herauf.
Das Erleben, einerseits Opfer chauvinistischen Terrors zu sein und andererseits durch permanente Aufforderung zu Verurteilung von Gewalt mit Tätern assoziiert zu werden, erzeugt bei vielen Muslimen das Bewusstsein, die Mehrheitsgesellschaft betrachte sie aufgrund ihrer Religion als „Feinde“. Das könnte bei einigen Muslimen eine Motivation des Aufbegehrens hervorrufen und ein oppositionelles Gefühl verursachen. Eine Stimmung, die radikale Strömungen nur zu gerne nutzen, um für ihre Ideologien zu werben.Diese Aufrufe erzeugen bei vielen Muslimen das Bewusstsein, die Mehrheitsgesellschaft betrachte sie als "Feinde".
Muslime und Nichtmuslime müssen Zusammenhalt demonstrieren
Wer stattdessen ein Interesse daran trägt, dass Gewalt gegen jedes wie immer geartetes Anderssein verringert wird, sollte sich mehr in die Muslime hineinversetzen, die in der Gesellschaft eine Minorität darstellen und zumindest subjektiv wegen ihrer Andersartigkeit Ausgrenzung erfahren. Ihnen gilt es das Gefühl zu vermitteln, dazu zu gehören und durch demokratische Institutionen Sicherheit garantiert zu bekommen. Wenn derartige Verurteilungen von Gewalt und Phobokratie für Muslime in gleichem Maße förderlich sein sollen wie für die nichtmuslimische Mehrheitsgesellschaft, sollten sie nicht auf Aufforderungen „von oben“ und erst recht nicht von innermuslimischen Kleingruppen erfolgen. Singuläre Aktionen von Muslimen lassen zudem die Mitverantwortung der Gesamtgesellschaft für den Erhalt des inneren Friedens außer Acht. Stattdessen gilt es, sich zu gemeinsamen zivilgesellschaftlichen Initiativen zusammenzufinden, die sich sowohl auf Muslime als auch Nichtmuslime stützen.Muslime und Nichtmuslime sollten gemeinsam zu zivilgesellschaftlichen Initiativen zusammenfinden.
Entscheidend ist, bei derartigen Solidaritätskundgebungen weniger die Täter als mehr die Opfer im Visier zu haben. Hierzu zählen Muslime in gleichem Maße wie Juden, Farbige und andere gesellschaftliche Minoritäten, denen man den besonderen Schutz vor Übergriffen zusichert. In diesem Kontext agieren die Muslime weder als „bemitleidenswerte Opfer“, noch als Angehörige einer prinzipiellen „Täterreligion“. Sie können sich stattdessen als pars pro toto einer couragierten Bürgergesellschaft präsentieren, die gegen Gewalt und Extremismus die Stimme erhebt. Gleichzeitig demonstrieren sie, dass Gewalt gegen Andersheit weder mit einem demokratischen Verfassungspatriotismus vereinbar ist, noch mit dem Islam. Auf diese Weise wird ihre Identifikation mit dem Pluralismus unserer Gesellschaft gestärkt und als Wert erkannt, den es gegen jede Form des Extremismus – auch wenn dieser sich „islamisch“ einzukleiden sucht - zu verteidigen gilt.Solidaritätskundgebungen gegen Terror müssen mehr die Opfer als die Täter im Visier haben.