Muslime gegen den Terror : „Es geht nicht um Distanzierung, sondern um Positionierung“

Frau Kaddor, was hat Sie genau jetzt dazu bewegt, zu einem Friedensmarsch gegen den Terror aufzurufen?
Die letzten Anschläge in Manchester und London waren auslösende Momente für uns - und natürlich auch die immer wiederkehrenden Anschläge in der islamischen Welt. Aber Manchester und London waren dann der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem man sich sagt: Es reicht. Und das war bei uns eben dieser Punkt.
Was erwarten Sie sich von so einer Demonstration?
Wir erwarten oder hoffen, dass wir möglichst viele Muslime dazu bewegen können, morgen gegen Gewalt und Terror im Namen unseres Glaubens zu protestieren. Die muslimische Gemeinschaft ist nicht organisiert, wir haben keine Struktur und keine Kirche, was es sehr schwer macht, tatsächlich abzuschätzen, wie viele Muslime sich anschließen werden. Wir hoffen auch, dass dieses Signal in der Mehrheitsgesellschaft so aufgenommen und anerkannt wird.
Was für einen Zusammenhang sehen Sie zwischen dem Terror und dem Islam?
Spätestens in dem Moment, in dem sich Attentäter auf unseren Glauben beziehen und solche furchtbaren Taten damit rechtfertigen, allerspätestens dann müssen wir uns als Muslime natürlich damit auseinandersetzen. Was wir im Übrigen auch schon seit langem tun, was aber bislang nie so deutlich wahrgenommen wurde. Wir müssen es schaffen, dass es Attentätern nicht mehr so leicht fällt, sich auf unseren Glauben zu beziehen. Dafür ist natürlich ein theologischer Prozess notwendig, das ist eine Sache. Andererseits müssen wir das auch gesellschaftlich klar machen. Sie müssen noch stärker an den Rand der muslimischen Community gedrängt werden. Das ist auch schon oft genug passiert, aber jetzt muss es noch einmal sichtbarer erfolgen. Durch eine Demonstration der Muslime gegen Terror wird es für Attentäter schwieriger, sich auf den Islam zu beziehen.
In den letzten Tagen wurde immer wieder die Kritik geäußert, durch einen Aufruf, der sich gezielt an Muslime richtet, würde eine Verbindung zwischen dem Terror und dem Islam aufgebaut werden, die so erstmal nicht existiert. Hat dieses Bedenken Gewicht?
Es geht hier nicht um Distanzierung, das steht auch deutlich im Aufruf. Wir distanzieren uns nicht vom Terror, weil es keine Nähe dazu gibt. Aber wir positionieren uns selbstverständlich dazu. Wir nehmen eine klare Haltung ein. Und das ist eine Reaktion auf etwas, das schon längst da ist. Wer Terror im Namen des Islam verübt, der kann sich nicht mehr zur muslimischen Community zählen, sondern wird ausgeschlossen. Wir machen deutlich: Wenn jemand das tut, ist er nicht mehr Teil unserer Community. Ob er bei Gott oder auf dem Papier noch Muslim ist, das ist uns in dem Fall auch erst einmal egal. Aber wir als Gemeinschaft schließen diese Menschen aus. Genauso wie Neonazis und Rechtsextremisten von uns Deutschen an den Rand dieser Gesellschaft gedrängt werden, damit sie mit ihren menschenfeindlichen Positionen schlichtweg keinen Platz mehr finden.Es geht nicht darum, sich vom Terror zu distanzieren, weil es zwischen Terror und Muslimen keine Nähe gibt.
Hat die deutsche Politik denn eine Berechtigung, von Muslimen einzufordern, sie müssten sich distanzieren?
Sie hat kein Recht dazu, sie aufzufordern, sich zu distanzieren, denn damit würde sie uns pauschal eine Nähe unterstellen, nur weil sie uns als Muslime gruppiert. Wir sind aber auch deutsche Staatsbürger. Und nicht nur das: Wir sind Deutsche. Unsere Position wurde aber gegenüber der Politik auch schon früher oft genug thematisiert und die meisten Muslime haben auch schon oft genug deutlich gemacht, wo sie eigentlich stehen. Das Unterstreichen wir mit der Demo noch mal. Dabei ist auch ganz wichtig, dass sie auf Impuls von zwei muslimischen Privatmenschen ins Leben gerufen wurde – zwei muslimischen Deutschen. Die deutsche Politik hat ein Recht dazu, Muslime aufzufordern, sich zu positionieren.
Die Demonstration wurde von vielen als ein ausschließlich muslimischer Friedensmarsch verstanden und deswegen kritisiert. Stimmt das so?
Nein. In unserem Aufruf steht „Muslime und Freunde“. Wichtig war, dass dieser Aufruf von Muslimen initiiert wurde und von muslimischen Organisationen und Privatpersonen unterstützt wird. Das ist der Fall. Aber genauso wichtig ist es letztendlich, dass Muslime und Freunde kommen. Wir haben ja ein unglaublich breites Bündnis von Muslimen und Nichtmuslimen innerhalb kürzester Zeit auf die Beine stellen können, die ihre Anhänger und Mitglieder mit aufgerufen haben, nach Köln zu kommen. Dass wir das als Privatpersonen geschafft haben zeigt, wie notwendig so ein Zeichen ist. Ich habe sehr viel positive Rückmeldung von Muslimen bekommen. Und genau das nehmen wir auch als Organisatoren mit: Wir haben einen Nerv getroffen. Dieses Projekt hat eine Dynamik angenommen, die ich so niemals erwartet hätte. Ich hätte nie gedacht, dass der Aufruf innerhalb von kürzester Zeit von allen Parteivorsitzenden, vielen Ministern, Gewerkschaften, Kirchen und Theologen unterzeichnet werden würde. So ein Interesse und so eine mediale Aufmerksamkeit ist beeindruckend. Es ist wichtig, dass Muslime und Nichtmuslime gemeinsam demonstrieren.
Die DITIB wird sich Ihrer Demonstration nicht anschließen. Was bedeutet das für Sie und was sagt das Ihrer Meinung nach aus?
Diese Entscheidung des Bundesvorstands der DITIB heißt noch lange nicht, dass Mitglieder und Anhänger dieser Organisation sich nicht doch als Privatleute der Demonstration anschließen werden. Der DITIB-Generalsekretär Bekir Alboga hat vor der Entscheidung öffentlich seine Sympathie für unseren Friedensmarsch bekundet. Er sitzt im Vorstand. Offenbar war man sich nicht mal dort einig. Für die Entscheidung muss der Vorstand der DITIB aber am Ende geradestehen und sich der Frage stellen, warum er sich nicht hinter einen Aufruf wie „Nicht mit uns – Muslime und Freunde gegen Gewalt und Terror“ gestellt hat. Das wird den Vorstand noch lange verfolgen. Aber, wie gesagt, wichtig ist, hier zwischen Vorstand und Basis zu unterscheiden.
Das Gespräch führte Antonia Zimmermann.