Terrorismus und Integration : Der Terror ist nicht muslimisch

Willkommenskultur war gestern. Was es nach dem mutmaßlich islamistischen
Selbstmordanschlag von Ansbach braucht, ist eine neue Abschiedskultur:
abgelehnte Asylbewerber müssen konsequenter abgeschoben werden; selbst
Eigentumsdelikte und Bewährungsstrafen sollen ein schwerwiegendes
Ausweisungsinteresse begründen. Zumindest wenn es nach dem
CDU-Innenexperten Armin Schuster und dem innenpolitischen Sprecher der
SPD-Bundestagfraktion, Burkhard Lischka, geht. Hierbei handelt es sich
um einen (weiteren) populistischen Fehlschluss, der - mal abgesehen
davon, dass er sich als Populismus ohnehin selbst disqualifizieren
sollte - ebenso unhaltbar ist, wie er sinnlos wäre.
Die Forderung von Schuster und Lischka behauptet einen kausalen
Zusammenhang zwischen der angedrohten Abschiebung von Mohammad Daleel
und dem Anschlag von Ansbach: weil Daleel die Abschiebung drohte (aber
nicht schnell genug vollzogen wurde), konnte es erst zum
Selbstmordanschlag kommen. Folglich erhöht schnelleres Abschieben die
Sicherheit! Schnellere Abschiebungen verhindern den Terror nicht
Erstens ist dieser kausale Zusammenhang völlig unhaltbar, extrapoliert
er doch von einem einzigen Einzelfall auf alle Personen, denen einen
Abschiebung angedroht wird, und ignoriert gleichzeitig die Erfahrung von
Jahrzehnten, in denen Abschiebungen bereits, zum Teil auch unter
Verwendung polizeilichen Zwangs, vollstreckt wurden - ohne dass es je zu
einem vergleichbaren Gewaltereignis seitens der betroffenen Personen
gekommen wäre. Dieser Logik von Schuster und Lischka folgend müsste man
auch die bundesdeutsche Bevölkerung unter Extremismusverdacht stellen;
nur würde man hier nicht von nur einem Ereignis auf alle potenziellen
Täter schließen, sondern - laut Kriminalstatistik 2015 - von 1485
rechten Gewalttaten auf alle potenziell rechten deutschen Täter.
Spätestens hier sollte jedem klar werden, warum die Verallgemeinerung
von Schuster und Lischka Unsinn ist.
Zweitens wäre die Forderung nach schnelleren Abschiebungen auch sinnlos
- wenn der behauptete Zusammenhang zwischen drohender Abschiebung und
Anschlagsrisiko korrekt wäre: Denn dann würden kompromisslosere und auch
bei geringeren Vergehen drohende Abschiebungen - der falschen aber
populistischen Logik von Schuster und Lischka folgend - doch zu mehr und
nicht zu weniger Anschlägen in Deutschland führen müssen. Folglich
würden mehr Abschiebungen nicht die Sicherheit erhöhen, sondern nur das
Anschlagsrisiko. Terrorismus ist nicht muslimisch
Eigentlich müsste man die Forderung von Schuster und Lischka ignorieren,
wäre sie nicht ein weiteres Beispiel für die perzeptive Verkürzung
sozialer Wirklichkeit, mit der von großen Teilen der Politik Flüchtende,
Muslime und Terrorismus diskursiv in einen Topf geworfen werden. Der
republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump schwadroniert von
einem Einreisestopp für Muslime (eine Forderung, der übrigens auch 24
Prozent der Deutschen zustimmen würden), Ungarns Ministerpräsident
Viktor Orban macht alle Migranten zu Terroristen und der
CSU-Eurpaabgeordnete Albert Dess twitterte: "[A]lle Terroristen sind
Moslems". Dass diese Verkürzungen falsch sind, zeigt in Deutschland
beispielsweise der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) oder die
sächsische Bürgerwehr FTL360. Aber auch der islamistische Terrorismus,
der nur eine Unterform terroristischer Gewalt darstellt, ist kein
Orbanscher „Migrationsterrorismus“. Die islamistischen Anschläge von
Madrid 2004, London 2005 wie auch Paris 2015 und Brüssel 2016 wurden
fast ausschließlich von Bürgern der Staaten verübt, gegen die sich die
Anschläge richteten.
Tatsächlich sehe ich in dieser perzeptiven Verkürzung, die Flüchtende und
Muslime pauschal stigmatisiert, und die in Teilen der
Politik aber auch im gesellschaftlichen Diskurs zu beobachten ist, die
aktuell größte Gefahr: uns droht eine tiefe Spaltung der Gesellschaft,
welche die Gewaltbereitschaft an den extremen Rändern tendenziell weiter
erhöhen wird.
Zudem spielt der Fokus auf die scheinbar omnipräsente islamistische
Bedrohung - der dafür die Gefahren des Rechtsterrorismus beinahe völlig
ignoriert - den islamistischen Gruppierungen nur in die Hände. Das
jüngste Beispiel dürfte wohl die islamistische Al-Shabaab sein, die in
einem fast einstündigen Propaganda-Video die anti-islamische Rhetorik
Trumps nutzt, um neue Rekruten für den bewaffneten Kampf zu werben.Die Terroristen sagen nichts über den Islam aus
Was also tun? Statt auf auf Ausgrenzung und Stigmatisierung sollten wir auf
Integration setzen. Wir müssen uns endlich klar machen, dass die
anti-islamische Rhetorik das Beste ist, was islamistischen Gruppierungen
wie dem "Islamischen Staat" passieren kann. Es ist buchstäblich
Gratis-Werbung!
Als politisch mündige Bürger sind wir alle aufgefordert uns zu fragen,
inwieweit unsere subjektive Bedrohungswahrnehmung, unser
Bedrohungsempfinden mit der empirisch überprüfbaren Realität
zusammenpassen. In Deutschland leben mehr als vier Millionen Muslime und
aktuell noch rund eine Million Flüchtende. Und so wenig wie die
Brandanschläge auf Asylunterkünfte oder die Übergriffe auf Flüchtende
etwas über „die Deutschen“ aussagen, sagen die Anschläge von Paris,
Brüssel, Orlando oder Ansbach etwas über „die Muslime“ oder "die
Flüchtenden" aus.Integration ist der beste Schutz gegen Terrorismus
Wenn wir es schaffen, diese perzeptive Verkürzung zu reflektieren,
reduzieren wir unsere Bedrohungswahrnehmung und gewinnen
Handlungsfreiheit zurück. Umgekehrt sind wir, wenn wir uns von den
Schreckensbildern aus Orlando oder Ansbach unsere Reaktion diktieren
lassen, nicht frei, sondern getrieben.
Der vielgescholtene frühere Bundespräsident Christian Wulff hat mit
seiner Feststellung, dass der Islam zu Deutschland gehört, nicht nur
Recht – er hat damit die Forderung, dass man die Herzen der Menschen
gewinnen müsse, auf eine begrifflich-inhaltliche Formel gebracht:
Muslime sind integraler Bestandteil unserer Gesellschaft. Und Flüchtende
wollen es sein! Als solche sind sie Verbündete im Kampf gegen den
Terrorismus. Wenn Staat und Gesellschaft aber bei der Integration
versagen, wenn wir es zulassen, dass eine Differenz konstruiert wird
zwischen „uns“ und „den Anderen“, dann wächst bei diesen „Anderen“ auch
tendenziell die Bereitschaft, sich von dem Staat und der Gesellschaft
abzuwenden, zu denen sie ja nicht gehören sollen. Kurz: Integration ist
der beste Schutz gegen Terrorismus.