Wieso wir uns der Digitalisierung nicht verwehren sollten. : „Offline ist auch keine Lösung“

Die Digitalisierungsrhetorik nervt. Alles Neue ist smart, alles Alte ist „post“, überholt und gilt nicht mehr. Das mag man, abseits der Rhetorik, ganz großartig finden oder ganz furchtbar – Fakt aber ist: Digitalisierung ist. Und zwar alles Mögliche. Nicht aber eine vorgegebene Entwicklung, ein Prozess mit vorbestimmtem Ausgang, der über uns kommt wie das Jüngste Gericht.
Digitalisierung können wir gestalten. Politisch, gesellschaftlich und auch jeder für sich selbst. Auch in Zukunft liegt mehr in unserer Hand, als viele glauben. Das ist nicht blauäugig, sondern realistisch. Man muss sich nur von dem Gedanken verabschieden, dass im Internet nur Weltverbesserer unterwegs sind. Gesunder Pragmatismus statt enttäuschtem „Liking“. Selbstverständlich wollen Unternehmen mit und im Netz Geld verdienen. Und natürlich haben sie auch grundsätzlich die Freiheit, dazu passende Geschäftsmodelle zu entwickeln. Welche dieser Geschäftsmodelle mit unseren Werten vereinbar sind, welche Vorgaben wir machen – das müssen wir als Bürger entscheiden. Den Digital-Verzicht zu predigen, kann kein politisches Programm sein
Aber den Leuten vorzuschlagen, sich aus der Entwicklung auszuklinken, auf Smartphone und Internet zu verzichten: Das kann kein politisches Programm sein. Wie übrigens auch nicht die Sehnsucht nach einem unbestimmten Gestern. Das Gefühl und den Gedanken: ‚Früher war alles besser‘ können vermutlich viele von uns nachvollziehen. Aber davon leiten lassen - besser nicht. Vor allem erreicht man mit Verbotsappellen nicht die, mit denen man über Risiken und über den bewussten Umgang mit digitalen Möglichkeiten diskutieren will. Digitale Bildung steckt in Deutschland noch in den Kinderschuhen
Das Gegenteil ist richtig: Diskutieren, aufklären, bilden im besten Sinne. Die Digitalisierung von Bildung steckt in Deutschland in den Kinderschuhen. Digitale Bildung bedeutet eben nicht nur den Einsatz digitaler Technik, nicht EBook statt Schulbuch. Es geht auch nicht ausschließlich um die Vermittlung technischer Kompetenzen, sondern um Selbstbestimmung. Digitale Bildung gilt für alle: kreative Nerds, kritische Konsumenten und verantwortungsbewusste Nutzer.
Ohne einen klaren Wertekompass wird das nicht gelingen. Es mag sein, dass Europa in einigen der Zukunftstechnologien den Anschluss verloren hat. Ob das mangelnde Verlangen nach Risiko in der alternden Gesellschaft Europas nicht so besonders ausgeprägt ist? Indes: Angst war noch nie ein guter Ratgeber. Und die Versäumnisse der Vergangenheit werden nicht mit neuen Versäumnissen in der Zukunft geheilt. Gestaltung ist in diesem Zusammenhang kein alleiniger Anspruch an Politik. Die eigene Identität in der digitalen Welt muss jeder selbst finden.Was wir wollen, entscheiden wir immer noch selbst und kein Algorithmus
Transparenz, Wettbewerb und Recht sind Voraussetzungen für diese Selbstfindung. Monopole behindern Entwicklung und schaden dem Verbraucher. Wenn wir keine Monopole wollen, müssen wir dagegen vorgehen. Mittel gibt es, wir müssen sie nur anwenden und auch neue schaffen. Die Menschen haben immer Lösungen für die Zukunft gefunden. Wenn wir jetzt der Überzeugung sind, mit personenbezogenen Daten werden Geschäfte zu Lasten Dritter gemacht – nämlich zulasten der Dateneigentümer - dann können und müssen wir uns besser wehren. Mit der Europäischen Datenschutzgrundverordnung sind wir da ein Stück weiter. Sie ist erst seit kurzem in Kraft, nach jahrelanger und fast quälend langer Debatte. Das Miteinander auf Augenhöhe von Usern und Anbietern rückt damit näher. Und Unternehmen entdecken den Datenschutz, weil er verkaufsfördernd wirkt. Die NSA-Affäre dokumentiert, dass Überwachung Alltag und Disruption kein Konzept für den Rechtsstaat ist. Die Reaktionen in der Bürgerschaft zeigen, dass Privatheit weiter einen ungemein hohen Stellenwert besitzt. Was wir wollen, entscheiden wir immer noch selbst und kein Algorithmus. Das ist ganz altmodisch und analog: Politik im Rechtsstaat.
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