Unverschämte Schüler, frustrierte Lehrer : Das Wunder ist, wie wenig rassistisch die Kollegen sind!
Ich unterrichte das Fach Lebenskunde an einer so genannten Brennpunktschule in Neukölln. Ich teile die Kritik an den Lehrern nicht. Natürlich gibt es, wie in jedem Beruf Menschen, die ihren Job besser oder schlechter machen. Natürlich gibt es auch Kolleginnen und Kollegen, die sich gelegentlich nicht adäquat gegenüber Schülern verhalten oder sich nicht politisch korrekt äußern. Und natürlich gibt es in der Schule auch Rassismus. Björn Höcke von der AfD ist bestimmt nicht der Einzige, der hier Ansichten vertritt, die einem Pädagogen nicht würdig sind. Aber eigentlich wundere ich mich immer wieder, wie wenig rassistisch meine Kolleginnen und Kollegen sich äußern. Schülerinnen und Schüler äußern sich offen rassistisch - etwa gegenüber Romakindern
Umgekehrt wundere ich mich gelegentlich wie rassistisch sich Schülerinnen und Schüler äußern, etwa wenn es um die Roma an unserer Schule geht. Erst letzte Woche beschwerte sich ein Mädchen aus einer libanesischen Familie bei mir bitter über "die Syrer” und “die Flüchtlinge”, die auf der Karl-Marx-Straße ständen und dort Mädchen anmachten und “die doch wieder abhauen sollten”. Ja, das gibt es und ein Stück weit ist das auch Normalität. Wer zuletzt kommt, muss sich seinen Platz erkämpfen und die, die schon ein bisschen länger hier sind entwickeln das “Gatekeeper-Syndrom” und erklären denen, die zu letzt kommen, dass hier eigentlich kein Platz mehr wäre.
Natürlich gibt es ein hohes Gewaltpotential. Das fängt in den Familien an, wo Kinder häufig noch geschlagen werden und setzt sich auf der Straße und dem Schulhof fort. Und dass eine Kollegin die Nerven verloren hat und handgreiflich wurde, habe ich auch schon erlebt. Das kommt schon gelegentlich vor und dass es nicht häufiger vorkommt, ist für mich ein Wunder! Ich höre pro Woche zahlreiche Respektlosigkeiten und Beleidigungen. Von “bist du schwul?” bis “Lutsch meinen Schwanz” ist da alles dabei. Und ich rede hier von einer Grundschule! Ich verstehe Lehrer/innen, denen die Hand ausrutscht, wenn sie übel beleidigt werden
Und wenn eine Kollegin, die etwa als “blöde Hure” beschimpft wird, sich nicht mehr im Griff hat, und dem Jungen eine knallt, kann ich das verstehen, auch wenn ich es nicht gut oder akzeptabel finde! Aber daraus gleich einen Fall für den Internationalen Gerichtshof zu machen, halte ich für absolut übertrieben. Wir sind nicht Jesus und wir können nicht die Welt im Klassenzimmer retten! Wir haben einen Bildungsauftrag und müssen Kindern Lesen und Schreiben, Regeln des Zusammenlebens oder Themen der Ethik etc. nahebringen.
Wir arbeiten an den so genannten Brennpunktschulen am unteren Ende der sozialen Skala und wir haben Lehrpläne und Vergleichstests. Unseren Schülern fehlen oft die elementarsten Fähigkeiten und Einstellungen. Die Hälfte unserer Arbeitszeit verbringen wir damit, die Kinder auf ihren Plätzen zu halten, Streit zu schlichten, Nasen zu putzen, Schuhe zu binden und ansonsten bürokratische Dinge zu erledigen. Wir sehen die Früchte unserer Arbeit nur selten. Statt dessen gehören wir zu den verachteten Berufen. Wenn jetzt mal wieder jemand die Lehrer als Problemursache erkennt, so ärgere ich mich darüber ungemein!Französisch oder Spanisch werden als Muttersprache positiv bewertet, Arabisch nicht
Ja, unsere Schülerinnen und Schüler haben auch ganz wunderbare Fähigkeiten. Sie sind mehrsprachig, wenn sie in der ersten Klasse sitzen. Als leidenschaftlicher Musiker und Liebhaber orientalische Musik schätze ich das musikalische Talent einiger Schüler und ihrer Eltern. Und es gibt ganz wunderbare Menschen, die ich an meiner Schule kennen lernen durfte. Etwa Bosnier, Serben und Albaner, die die Freundschaft ihrer Kinder untereinander unterstützt haben und ihnen nicht das Gift des Nationalismus eingeimpft haben. Und natürlich würdigt die deutsche Schule die Talente dieser Kinder selten. Das deutsch-französische Gymnasium hat eben ein großes Ansehen, genau wie die Kinder, die Französisch, Spanisch oder einer andere “Kultursprache” als Muttersprache sprechen. Etwas ähnliches für Araber gibt es aber nicht. Das sind in der Tat Chancen, die vertan werden.Wir reden viel über "Kopftuchurteile" statt den Migrantenanteil in den Kollegien zu erhöhen
Aber so lange mehr über das Kopftuch von Lehrerinnen diskutiert wird als über die Frage, wie wir den “Migrantenanteil” unter den Lehrkräften erhöhen, wird sich daran auch nichts ändern.
Was wir bräuchten, wären kleinere Klassen und mehr Unterstützung. Mehr als zehn Kinder dürften nicht in einer Klasse sein, es müsste Sozialpädagogen, Psychologen und Schulhelfer geben, die sofort bei Auffälligkeiten und Krisen intervenieren."Problemschüler" werden nur verwaltet, statt das man ihnen zu liebe beherzt eingreift
Und vor allem müssten die “Problemfälle” nicht jahrelang nur von der Schule und dem Jugendamt verwaltet werden, sondern es müssten schnelle und drastische Maßnahmen geben. Warum werden denn Kinder jahrelang in chaotischen Familien gehalten, wo eine Generation von “Troublemakern” nach der anderen heranwächst und wo nach kurzer Zeit klar ist, dass es den Kindern dort nicht gut geht und sie um ihre Entwicklung betrogen werden. Irgendwann passiert dann nach der fünften Jugendstrafe etwas, was schon in der ersten oder zweiten Klasse hätte passieren müssen.
Und nicht zuletzt brauchen wir natürlich Fachkräfte in interkultureller Pädagogik und Kulturdolmetscher. Als Lehrer im Zeitalter von Inklusion sollen wir zwar alles können, angefangen von sonderpädagogischen Kompetenzen bis hin zu psychologischen und sonstigen Kenntnissen. Aber wir haben auch Grenzen!