Einheitsdenkmal? So bitte nicht : Runter von der Wippe!

Die Ablehnung des wippenden Einheitsdenkmals und mein Plädoyer für einen Neustart des Nachdenkens haben unterschiedliche Resonanz ausgelöst. Florian Mausbach, Träger des Nationalpreises der Deutschen Nationalstiftung für das bürgerschaftliche Engagement für die Errichtung eben jenes Denkmals, polemisierte in dieser Zeitung heftig: „Über den Sturz des SED-Regimes können sich Die Linke und Herr Lederer einfach nicht freuen.“ Als sei Inhalt meiner Kritik die Relativierung des SED-Regimes gewesen. Das ist natürlich infam, denn es geht um ganz anderes. Ein Einheitsdenkmal gehört auf den Alexanderplatz oder nach Leipzig, dort startete der Widerstand gegen das DDR-Regime.
Ja, ich habe ernste Probleme mit der „Wippe“. Das beginnt mit dem Ort, für den sie gedacht ist. Alexanderplatz, der Ring in Leipzig, die Gethsemanekirche – mit diesen Orten verbinde ich die Kopf und Herz erreichenden Bilder vom Aufbegehren, vom Widerstand gegen die Fesseln des DDR-Systems. Sie stehen für mich für die Emanzipation der Bürgerinnen und Bürger aus der Bevormundung. Kaum jedoch der Schlossplatz, der Kaisersockel, die wilhelminische Fassade. Der Schlossplatz steht für alles andere als für Demokratie, Selbstbestimmung, Freiheit und und Frieden.
Dieser Ort steht historisch für alles andere als für Demokratie, Selbstbestimmung, Freiheit und Frieden. Für das Kaiserdenkmal erfindet Herr Mausbach gar eine Geschichte, die es nie hatte. Das frühere Nationaldenkmal ist nämlich ohne Kaiserstatue, Kriegstrophäen und Kitschfiguren überhaupt nicht denkbar. Genauso gut ließe sich argumentieren, die Löwengruppe, die früher am Denkmal stand und nun im Tierpark, sei seinerzeit dem Tierschutz gewidmet gewesen. Man kann ein Denkmal nicht in seine Teile zerlegen und sich nur diejenigen heraussuchen, die gerade gut zur eigenen Argumentation passen.
Der erste deutsche Versuch von Freiheit in Einheit 1848 wurde niedergeschlagen. Die „Reichseinheit“ 1871 kam von oben und war eine reaktionäre Veranstaltung, getragen von der Ablehnung parlamentarischer Demokratie, gefolgt von den Sozialistengesetzen. Sie war das Ergebnis brutaler „Einigungskriege“ und preußischer Vormacht. Solche Paten für Einheit und Freiheit will ich nicht.
Auch 1989/90 war weit mehr als der eindimensionale Ruf nach Einheit in Freiheit. Es war die jahrelange Oppositionsarbeit in Kirchen, Umwelt- und Oppositionsgruppen, ja, selbst in Sozialistenzirkeln, die ihr Land, die DDR, menschlich und demokratisch gestalten wollten, Menschen, die Repression auf sich nahmen, ihr Leben riskierten. Deren Ruf mündete in das hunderttausendfache „Wir sind das Volk!“ im 89er Herbst. Die schwarz-rot-goldenen Banner kamen später und „Wir sind ein Volk!“ hatte eben auch seine völkische Begleitmusik, die sich in Mölln, Solingen und Lichtenhagen Bahn brach.Eine Waagschale wirft sich dorthin, wo die Mehrheit hinstrebt. Eine Demokratie muss aber auch die Minderheiten schützen.
Mit meiner Kritik am Denkmal ziele ich aber auch darauf, welche demokratischen Traditionen eine Waagschale eigentlich abbildet, die sich wie ein Pendel, eingefasst in feste Mechanik, immer dorthin wirft, wo die Mehrheit, begriffen als uniforme Masse, gerade hinstrebt – just nach links, dann nach rechts. Muss Demokratie, wie wir sie heute verstehen, nicht gerade auch jene schützen und sichtbar machen, die nicht der Mehrheit angehören? Arme, Kranke, Geflüchtete? Wir sollten uns gerade in Deutschland klar sein, zu welch drastischen Entscheidungen eine völkisch und identitär geformte Masse fähig ist, wenn nicht Minderheitenschutzrechte sie daran hindern.
„Denkmäler sind einfache Zeichen. Sie erklären und erläutern nichts. Sie erinnern, wecken Achtung, Trauer oder Freude“: Das sagt Herr Mausbach, und von daher liebt er seine simple Wippe auch zurecht. Aber stimmt, was er sagt? Gerade Berlin verfügt über viele Denkmäler, die gerade durch künstlerische Verfremdung, durch Formen, die ein Innehalten erzwingen, erst wirklich Achtung, Trauer oder eben auch Freude hervorbringen. Etwa das Mahnmal für die Bücherverbrennung von Micha Ullman oder das für die homosexuellen Opfer der Nazis.
Nichts ist hier stimmig. Starten wir neu, gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern. Unterschätzen wir die Berlinerinnen und Berliner, die West- und Ostdeutschen nicht. Den Menschen kann mehr zugemutet werden als ein recht schlichtes Stadtmöbel.
Eine Ergänzung:
"In der Papierausgabe des Tagesspiegel habe ich behauptet, Rollifahrer hätten keinen Zutritt zur Einheitswippe. Dies ist offensichtlich falsch. Das bedaure ich. Dieser Irrtum wurde hier in der Onlinefassung auf meine Bitte hin korrigiert. Klaus Lederer"