Muslime in Deutschland : Rassismus unter dem Deckmantel der Antisemitismuskritik

Viel zu lange musste ich eine Berichterstattung erdulden, die die Grenzen des Tolerierbaren überschritten hat. Und das von vielen Seiten. Ja, der Antisemitismus zeigt sich von seiner besonders hässlichen Seite, wenn Juden im Deckmantel einer sogenannten „Israelkritik“ zur Zielscheibe von Hass und Gewalt werden. Ja, Antisemitismus ist ein Problem, ihn gibt es unter Rechtsextremisten, Geschichtslehrerinnen, beim Bäcker von neben, bei der Kommilitonin, die Vegetarierin ist, und ja, sogar unter Muslimen, wer hätte es gedacht. Er folgt einer unerträglichen Haltung, Juden zu homogenisieren („Alle sind gleich“), zu essentialisieren („Sie sind ihrer Herkunft, Kultur und Religion nach einfach so“) und dadurch ihre Diskriminierung zu legitimieren.
Und ja, ich ärgere mich, dass antisemitische Parolen auf Kundgebungen skandiert werden. Die Demonstrationen hatten für viele ein anderes Ziel, nämlich ihre Verzweiflung darüber auszudrücken, dass das Existenzrecht Israels und der israelische Anspruch auf Jerusalem zu Recht verteidigt werden, während das Existenzrecht Palästinas und ihr gleichberechtigter Anteil an der Hauptstadt, genauer Ost-Jerusalem, nicht selten relativiert oder an sich verweigert werden. Der "Muslim" steht im Mittelpunkt. Der israelisch-palästinensische Konflikt gerät dabei in den Hintergrund
Jerusalem, Trump, der israelisch-palästinensische Konflikt genauso wie friedliche Demonstranten geraten in diesen Momenten in den Hintergrund. Stattdessen verlagert sich die Debatte in eine immer wiederkehrende Endlosschleife. Im Mittelpunkt steht „der Muslim“, oder besser gesagt der, den man zu einem macht. Denn mit „Muslimen“ meinen wir längst keine Religionsgemeinschaft mehr. Muslim ist zu einem Codewort für Menschen geworden, die für uns „wie Muslime“ aussehen und deshalb „wie Muslime“ handeln und denken. Antisemitismuskritik wird für ein rassistisches Spiel instrumentalisiert
Plötzlich ist die Rede von „importiertem Antisemitismus“, von „falscher Toleranz“, von „Sprechverboten“ und „Tabus“. Wirklich? Seit wann muss der Antisemitismus denn erst nach Deutschland „importiert“ werden? Und seit wann gibt es in diesem Land einen Mangel an kontroversen Islamdebatten? Nein. In Wirklichkeit sind das stereotype Bild des unzivilisierten, gewalttätigen und „uns“ fremden Muslims und die damit einhergehenden Ausschlussprozesse nicht wegzudenken aus populistischen Talkshow-Runden und tendenziöser Berichterstattung.
Nichts anderes tut Harald Martenstein in seinem letzten Tagesspiegel-Kommentar. Darin hält er die Warnung vor radikalen Muslimen vor, um zum Ende jedoch ein Kollektivurteil über Migranten und Muslime zu fällen und demografische Gefahren heraufzubeschwören: "Ab einer gewissen Zahl integrieren Einwanderer sich deshalb nicht, sondern bilden eine Gruppe", sinniert er über eine zugeschriebene Integrationsunfähigkeit von als nicht-Deutsch Markierten. Scheinbar sieht er die einzige Lösung darin, Muslime als Gruppe zu problematisieren und auszugrenzen. Mehr noch instrumentalisiert er den Kampf gegen Antisemitismus und lässt unterschwelligen Ressentiments freien Lauf. Nach dem Motto: Muslime = Antisemiten = keine Deutsche = raus aus Deutschland oder erst gar nicht rein! Muslimische Geflüchtete werden unter Generalverdacht gestellt und kollektiv bestraft
Der Wunsch nach einer weißen, deutschen Nation macht auch keinen Halt vor dem Recht der anderen auf Asyl und die Familienzusammenführung. Insbesondere muslimische Geflüchtete werden unter Generalverdacht gestellt und kollektiv bestraft. Sie werden für das verantwortlich gemacht, was andere tun, nur weil sie (angeblich) ein bestimmtes Merkmal teilen. Sie werden diskriminiert, „weil ihre Kultur so ist“. Aber wer würde „dem Deutschen“ wegen „deutscher“ Antisemiten seine Zugehörigkeit absprechen? Wer würde gegen seine Anwesenheit demonstrieren, ihn zum Integrationskurs verdonnern und sanktionieren, wenn er sich nicht der „Leitkultur“ unterwirft?Muslime haben den Antisemitismus nicht erfunden und schon gar nicht importiert
Lassen Sie mich eines klarstellen, damit ich nicht falsch verstanden werde - als Muslim kann man nicht oft genug seine Loyalität und Demokratiefähigkeit unter Beweis stellen, nicht wahr? Antisemitismus ist Antisemitismus, und deshalb nicht zu dulden. Aber bei allem Respekt, er ist nicht neu. Muslime haben ihn nicht erfunden, und schon gar nicht importiert. Ein Patent auf Judenhass haben wir übrigens auch nicht, auch wenn Jens Spahn das vielleicht selbstgefällig denkt.
Die Grenze in dieser Debatte ist überschritten, wenn Antisemitismuskritik für ein rassistisches Spiel instrumentalisiert wird. Das ist dann der Fall, wenn „unser“ Antisemitismus zur Ausnahme und Vergangenheit erklärt wird. Wenn er auf andere externalisiert wird, um „uns“ reinzuwaschen und um unsere Privilegien zu sichern. Wenn die Anderen zum Sinnbild des Antisemitismus werden, und deshalb anders als „wir“ behandelt werden sollen, weil sie so aussehen, wie sie aussehen, weil sie Migranten, Türken, Araber, aber auf jeden Fall alle Muslime (warum eigentlich?) sind.Der "Muslim" wird zum neuen Feind, während die Angst vor den Rechten verblasst
Immer weiter driftet die Debatte um den Antisemitismus der anderen ins Absurde. „Der Muslim“ wird zum „wahren Feind“ erklärt. Für viele stellt er plötzlich die extreme Rechte in den Schatten. Er soll schlimmer sein, als eine in den Bundestag gewählte rechtspopulistische Partei, die gegen unsere Rechtsstaatlichkeit agiert, ein rechtskonservatives Familienbild und völkisches Gesellschaftsmodel propagiert, das Grundgesetz umdeutet und das Recht auf Presse- und Religionsfreiheit angreift. Aber wer braucht schon Angst vor Rechten zu haben, die als Volksvertreter im höchsten Parlament des Landes sitzen und Zugang zu politischer Autorität genießen, wenn man „den Muslim“ hat.
Ja, lasst uns gemeinsam etwas gegen den Antisemitismus in all seinen Variationen tun. Am liebsten ohne gleichzeitig eine unerträgliche Haltung zu kultivieren, die Muslime homogenisiert („Alle sind gleich“), sie essentialisiert („Sie sind ihrer Herkunft, Kultur und Religion nach einfach so“) und dadurch ihre Diskriminierung legitimiert.