DNA-Analyse und Diskriminierung : Diskriminierungseffekte erweiterter DNA-Analysen im polizeilichen Einsatz

Neben den wissenschaftlichen Unsicherheitsfaktoren in Bezug auf die DNA-basierte Analyse der sogenannten „ biogeographischen Herkunft“ sind bei ihrer Praxisanwendung in der polizeilichen Ermittlungsarbeit verschiedene, von den Ermittlern nicht beabsichtigte, potentielle Diskriminierungseffekte angelegt.
Ermittler werden nämlich erstens ihren Fokus nur dann effektiv einschränken können, wenn bei der DNA-Analyse einer unbekannten Täterspur Merkmale vorhergesagt werden, die in der deutschen Bevölkerung selten auftreten. Man muss weder über juristische noch molekulargenetische Fachkenntnisse verfügen, sondern lediglich über ein Grundverständnis von Mengenlehre, um zu erkennen, dass die Technologien nur dann von Nutzen sein werden und weitere Ermittlungsschritte wie etwa eine DNA-Reihenuntersuchung oder eine fokussierte Öffentlichkeitsfahndung ermöglichen, wenn sie auf Merkmale wie dunkle Haare, dunkle Augen, dunkle Haut und/oder eine eindeutige „biogeographische Herkunft“ in Asien oder Afrika hinweisen. Wenn das Ergebnis einer erweiterten DNA-Analyse hingegen lautet „hellbraune Haare, blaue Augen, helle Haut, mitteleuropäische Herkunft“, werden Ermittler in Deutschland damit wenig anfangen können. Diese im Ermittlungsansatz angelegte Ungleichgewichtung steht im deutlichen Widerspruch zum Gleichbehandlungsprinzip nach Art. 3 des Grundgesetzes (siehe auch Causa-Beitrag von Carsten Momsen). Erweiterte DNA-Analysen sind nur in Bezug auf Minderheiten von praktischem Nutzen. Das widerspricht Art. 3 GG.
Zweitens: Wenn aufgrund dieser Grundkonstellation über die Reihenuntersuchungen immer mehr DNA-Daten von Personen erfasst und gespeichert werden, die nicht zur Mehrheitsbevölkerung gezählt werden, wird sich daraus aller Vorrausicht nach mit der Zeit eine stetig wachsende Überrepräsentation von Minderheiten in Polizeidatenbanken ergeben.
Drittens scheint der Anwendungswert erweiterter DNA-Analysen durch die transnationale und transkontinentale Vernetzung der Weltgesellschaft, durch beständig zunehmende Migration und Multiethnizität begrenzt zu sein – insbesondere in Ballungsräumen und Großstädten, in denen die Mehrzahl der Schwerstverbrechen stattfindet, für die nun die Einführung der neuen Technologien gefordert wird. Aufgrund von Migration und Multiethnizität ist der praktische Nutzen erweiterter DNA-Analysen für Ermittlungen begrenzt.
Nehmen wir zum Beispiel den Freiburger Mordfall, welcher von den Befürwortern – allen voran dem Freiburger Polizeipräsidenten Bernhard Rotzinger – zum Anlass für die Forderung einer entsprechenden Gesetzesänderung genommen wird. Freiburg ist eine Stadt mit gut 220.000 Einwohnern, deren demographische Zusammensetzung sehr vielfältig ist – nicht zuletzt durch die bis ins Mittelalter zurückreichende Migrationsgeschichte der Stadt und die Universität. Außerdem liegt sie in einer Grenzregion, durch die sich täglich hunderttausende Personen aus Frankreich und der Schweiz bewegen, viele von ihnen als Berufspendler. Stellen wir uns vor, in Freiburg wäre eine erweiterte DNA-Analyse rechtlich möglich gewesen und dabei wäre herausgekommen, dass der mutmaßliche Täter (der, wie wir inzwischen dank konventioneller Ermittlungsmethoden wissen, aus Afghanistan stammt) mit über 90% Wahrscheinlichkeit braune Augen, braune Haare sowie einen leicht dunklen Teint aufweist und dass seine „biogeographische Herkunft“ in Asien liegt. Mehr kann die Technologie nicht – sie kann weder die Nationalität noch die ethnische Zugehörigkeit einer Person aufzeigen; seriöse Forensiker stufen zudem Angaben über die subkontinentale Herkunft bisher noch als wenig verlässlich ein. „Asien“ als „biogeografische Herkunft“ könnte außerdem auch eine weit zurückliegende Vorfahrengeneration betreffen, über die weder der Pass noch der Nachname oder die Familienerinnerung Auskunft gibt. Welche Gruppe hätten die Ermittler in Freiburg aufgrund der Erkenntnisse aus einer erweiterten DNA-Analyse wie und mit welchen weiterführenden Ermittlungsansätzen „eingegrenzt“? Wie lange hätte es gedauert, im Anschluss an die erweiterte DNA-Analyse alle Männer mit den entsprechenden Merkmalen zu erfassen? Wie aussagekräftig wären die (Melde-) Daten, der sich die Polizei dabei hätte bedienen können (deutsche Meldebehörden speichern lediglich Lichtbilder sowie Angaben zu Staatsangehörigkeit und Augenfarbe; in deutschen Polizeiregistern dürfen nach § 483 Abs. 1 StPO „für Zwecke des Strafverfahrens – soweit sie zum Zweck der Täteridentifizierung erforderlich" sind, auch Angaben zu Haut- und Haarfarbe gespeichert werden)? Wie lange hätte es aufgrund dieser Datenlage schließlich gedauert, alle Männer „asiatischer Herkunft“ mit braunen Augen und Haaren sowie – im Vergleich zum Durchschnittsfreiburger – einem etwas dunkleren Teint, dazu zu bringen, eine freiwillige DNA-Probe für eine Reihenuntersuchung abzugeben? Wie teuer wäre all dies gewesen? Und wie wäre in der Ermittlungspraxis mit den Fehlerquoten umgegangen worden, d.h. mit der in diesem Fall bis zu 10% hohen Wahrscheinlichkeit, dass der Täter keine braunen Augen, keine braunen Haare und keinen dunkleren Teint aufweist und/oder nicht aus Asien stammt? Auf all diese Fragen gibt es noch keine Antworten – was allerdings auch daran liegt, dass Journalisten und politische Entscheidungsträger sie den Befürwortern bisher nicht gestellt haben.
Genauso wenig ist, viertens, bisher geklärt, wie Öffentlichkeitsfahndung und Kriminalberichterstattung gestaltet werden sollen, die in vielen Fällen im Anschluss an eine erweiterte DNA-Analyse zum Einsatz kommen. Das Beispiel des „Heilbronner Phantoms“, dem ursprünglich der Mordanschlag auf die Polizistin Michèle Kiesewetter und ihren Kollegen zugeschrieben wurde, gibt Aufschluss darüber, was dabei alles schiefgehen kann. Es ist der erste Fall in Deutschland, bei dem offiziell eine DNA-Analyse zur Feststellung der „biogeographischen Herkunft“ einer mutmaßlichen Täterin zum Einsatz kam. Aufgrund der Vielzahl der weit voneinander entfernt liegenden Tatorte, an denen man ihre DNA bereits zuvor gefunden hatte, ging die Polizei davon aus, dass die Täterin hochkriminell und hochmobil sei. Um die Ermittlungen noch stärker zu fokussieren, ließ die Heilbronner SoKo im Rahmen einer Amtshilfe am Rechtsmedizinischen Institut der Universität Innsbruck eine DNA-Analyse zur Feststellung der biogeographischen Herkunft der Täterin durchführen. Auch wenn die zuständigen Behörden (die Staatsanwaltschaft Heilbronn, das LKA Stuttgart und die Generalbundesanwaltschaft) dieses DNA-Gutachten bisher unter Verschluss halten, so lässt sich doch aus Medienberichten rekonstruieren, dass Walter Parson, der dafür verantwortliche Innsbrucker Forensiker, zu dem Schluss kam, die DNA der mutmaßlichen Täterin trete „gehäuft in Osteuropa und im Gebiet der angrenzenden Russischen Föderation auf“ (Heilbronner Stimme, 28.8.2008).
Die Heilbronner Ermittler sahen sich jedoch in ihrem Verdacht bestätigt, es mit einer „hochkriminellen Zigeunerin“ zu tun zu haben, wie es in den Ermittlungsakten formuliert wurde. Bis zum Auffliegen der Wattestäbchen-Affäre im März 2009 wurde diese These von der Heilbronner SoKo in ihrer Medienarbeit immer wieder gezielt lanciert. Von vielen Journalisten wurde sie ungefiltert aufgegriffen und verbreitet, umfassend unterfüttert mit Stereotypen und Vorurteilen gegenüber Sinti und Roma, wodurch diese sich einmal mehr unter Generalverdacht gestellt sahen.
Parallel dazu erfolgte eine DNA-Reihenuntersuchung von Frauen, „deren krimineller Hintergrund in das erstellte Raster passe“ – bei 800 Frauen, die bereits in Polizeiregistern verzeichnet waren wie auch 3.104 Frauen, deren DNA auf freiwilliger Basis erhoben wurde. Die DNA-basierte Herkunftsanalyse führte im Zusammenspiel mit den Vorurteilsstrukturen der Ermittlungsbeteiligten dazu, dass diese ihren Fokus fast zwei Jahre lang, trotz immer stärker werdender Widersprüche, auf die Verfolgung einer fiktiven „hochkriminellen Zigeunerin“ richteten, während die tatsächlichen Täter – der NSU und seine mutmaßlichen Helfer – unbehelligt blieben.Anschließende Ermittlungsmaßnahmen müssen verantwortungsvoll reguliert werden, um Generalverdächtigungen zu verhindern.
In diesen knapp zwei Jahren gab es so gut wie keine öffentlich geäußerten Zweifel am Heilbronner Ermittlungsansatz – weder aus der Kriminalpolizei oder dem Justizwesen, noch von Forensikern oder Kriminologen. Sowohl der damalige baden-württembergische Innenminister Reinhold Gall als auch der damalige Präsident des BKA, Jörg Ziercke, entschuldigten sich im Nachhinein zwar beim Zentralrat der Sinti und Roma, wiesen jedoch zugleich den Vorwurf zurück, die Ermittlungsbeteiligten hätten sich gegenüber Sinti und Roma voreingenommen und diskriminierend verhalten – eine Einschätzung, der sich 2016 auch der Erste NSU-Untersuchungsausschuss im Stuttgarter Landtag anschloss.
Fehlinterpretationen wie diese, bei der (vermeintlich) objektive molekulargenetische Erkenntnisse aus dem Labor mit soziokulturellen Vorannahmen der Ermittler auf hochproblematische Weise zusammenwirken, werden sich beim fortgesetzten Einsatz der Erweiterten DNA-Analysen häufen – mit gravierenden Folgen für Personen, die (ethnischen) Minderheiten zugerechnet werden. In den Niederlanden und Großbritannien wird der polizeiliche Einsatz von erweiterten DNA-Analysen deshalb durchgängig von multidisziplinären Gremien begleitet, die ein besonderes Augenmerk auf mögliche Diskriminierungseffekte legen, um diese zu verhindern. Im Gegensatz dazu sind entsprechende Regelungen und Gremien für Deutschland bislang nicht vorgesehen. Die wissenschaftliche und juristische Diskussion steht bei uns gegenwärtig noch ganz am Anfang.
Angesichts der Komplexität der Technologien und ihrer Anwendungen und angesichts der absehbaren gesellschaftlichen Auswirkungen darf über die Einführung erweiterter DNA-Analysen nicht überhastet und hinter verschlossenen Türen entschieden werden – und nicht von einem Expertenkreis, der auf Forensiker, Polizeipraktiker und Sicherheitspolitiker beschränkt bleibt. Den politischen Entscheidungsträgern sei mit auf den Weg gegeben, dass eine verantwortungsvolle Regulierung viel Zeit sowie konstruktiven, praxisübergreifenden Austausch braucht und nicht, wie bisher, durch populistisch aufgeladene Öffentlichkeitskampagnen vorangetrieben werden sollte.